Dunkles Indien
die zwar nicht gestorben sind, aber nicht leben dürfen, ihr Hauptquartier aufgeschlagen hätten. Da es außer jedem Zweifel steht, daß sich in ebenderselben Wüste eine prachtvolle Stadt befindet, in die sich reiche Leute zurückziehen, nachdem sie sich ein Vermögen gemacht haben (und zwar ein Vermögen, so groß, daß sie sich unter dem Schutze der Gouvernementsregierung nicht mehr sicher fühlen und als Wohnort die wasserlose Sandwüste vorziehen, wo sie in prunkvollen elastisch gefederten Kutschen fahren, sich schöne Mädchen kaufen und die Wände ihrer Paläste mit Gold, Elfenbein, kostbaren Minton-Kacheln und Perlmutter schmücken), so sehe ich nicht ein, warum Jukes' Erzählung nicht wahr sein sollte! Jukes ist Zivilingenieur, hat den Kopf voll mit Streckenmessungen, mit Entwürfen aller Art und ähnlichen Dingen; warum sollte er sich damit abgeben, Phantasien auszuhecken? Wenn er seinem Beruf nachgeht, verdient er auf weit leichtere Art sein Geld. Auch erzählt er die Geschichte immer gleich, fügt nichts hinzu und läßt auch nichts weg; und immer bekommt er einen roten Kopf, wenn er die unwürdige Behandlung schildert, die ihm in jenem Dorfe zuteil geworden ist.
Zuerst hat er die Geschichte in schlichten Worten, und offenbar für ihn allein bestimmt, niedergeschrieben, später hat er stellenweise im Stil nachgefeilt und persönliche Bemerkungen eingefügt. Sie lautet: Angefangen hat alles mit einem leichten Fieber. Mein Beruf zwang mich, einige Monate zwischen Pakpattan und Murbarakpur zu kampieren – eine trostlose, sandige Gegend, wie jeder weiß, der das Unglück gehabt, dort leben zu müssen. Meine Kulis waren weder besser noch schlechter als andere Arbeitertrupps dieser Art, und überdies nahm mich meine Aufgabe derart in Anspruch, daß mir zu Träumereien keine Zeit geblieben wäre, selbst wenn ich Neigung zu solch unmännlichen Schwächen verspürt hätte.
Am 23. Dezember 1884 fühlte ich das Fieber kommen. Es stand damals der Vollmond am Himmel, und sämtliche Hunde in der Nähe meines Zeltes bellten ihn ununterbrochen an, wie das bei ihnen üblich ist. Die Köter hatten sich zu zweien und dreien versammelt und brachten mich schier zur Verzweiflung. Einige Tage vorher hatte ich einen solchen lärmbeflissenen Sänger erschossen und seinen Leichnam als abschreckendes Beispiel ungefähr fünfzig Yards von meiner Zelttür entfernt aufgehängt. Leider verfehlte die Maßnahme ihren Zweck: seine Freunde fielen über ihn her, rauften sich um seinen Kadaver und verzehrten ihn schließlich; dann sangen sie, wie mir schien, Dankeshymnen. Mit verdoppelter Energie.
Die Benommenheit, die das Fieber begleitet, wirkt auf die verschiedenen Menschen verschieden; in mir ließ sie nach kurzer Zeit den Entschluß reifen, eine ungeheure schwarze und weiße Bestie, die beim nächtlichen Gesang, aber auch beim Ausreißen die erste war, zu ermorden, koste es, was es wolle. Dank meiner zitterigen Hand und meinem schwindligen Kopf, hatte ich sie bereits zweimal mit der Flinte gefehlt, und da kam mir der verrückte Gedanke, ich müsse sie niederreiten und mit der Saufeder erlegen. Es war das offensichtlich ein Einfall, wie ihn nur ein im Fieberdelirium befindlicher Kranker haben konnte, erschien mir aber damals als das einzig richtige und überaus leicht und einfach ausführbar.
Ich befahl demnach meinem Stallknecht, Pornic zu satteln und leise an die Rückseite meines Zeltes zu bringen. Als das Pony bereitstand, faßte ich die Zügel, entschlossen, sofort aufzuspringen und fortzusprengen, falls der Hund seine Stimme wieder erheben sollte. Nebenbei bemerkt: Pornic war einige Tage nicht aus dem Stall gekommen, die Nachtluft war erregend und kalt, und überdies trug ich ein paar besonders lange und scharfe Sporen, mit denen ich am Nachmittag ein faules Füllen aufgemuntert hatte; man kann sich also leicht vorstellen, wie Pornic losging, als der Moment gekommen war! Im Nu lag das Zelt hinter mir und wir flogen über den weichen sandigen Boden dahin, als gelte es, einen Rennpreis zu gewinnen. Der Hund rannte wie ein gehetztes Wild, aber schon im nächsten Augenblick waren wir an ihm vorbei und ich hatte bereits vergessen, weshalb ich eigentlich zu Pferde saß und den Sauspeer mitgenommen hatte.
Das Fieberdelirium und die Erregung infolge der schnellen Bewegung in der frischen Luft müssen mir den letzten Rest meiner Besinnung geraubt haben, denn ich erinnere mich nur dunkel, daß ich aufrecht in den Bügeln stand und mit
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