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Dunkles Indien

Dunkles Indien

Titel: Dunkles Indien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rudygard Kipling
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ist nun: Wer hat ihn ermordet? Unterbrich mich jetzt nicht, mir fällt soeben etwas ein. Als ich diesen Bungalow bezog, übernahm ich die meisten von Imrays Dienern. - Imray war arglos und gutmütig, nicht wahr?«
    Ich stimmte zu, obgleich der Haufen unter dem Tuch im Nebenzimmer weder nach der einen noch nach der ändern Eigenschaft ausgesehen hatte.
    »Wenn ich jetzt sämtliche Diener hereinrufe, werden sie sich zusammenrotten und lügen wie die Arier. Was schlägst du vor?«
    »Laß einen nach dem andern kommen!« riet ich.
    »Dann werden sie hinauslaufen und sich gegenseitig warnen. Wir müssen sie trennen. Glaubst du, daß dein Diener etwas ahnt?«
    »Könnte sein; ich weiß es nicht. Er ist erst zwei oder drei Tage hier. Was ist deine Ansicht?«
    »Ich kann es noch nicht genau sagen. Wie, zum Kuckuck, kam Imray hinter die unrechte Seite des Dachtuchs?«
    Da hörten wir ein lautes Husten vor Stricklands Schlafkammertür, ein Zeichen, daß Bahadur Khan, sein Leibdiener, aus dem Schlafe erwacht war und seinem Herrn beim Auskleiden behilflich sein wollte.
    »Komm herein!« rief Strickland. »Eine verdammt heiße Nacht heute, was?«
    Bahadur Khan, ein großer, grünbeturbanter, sechs Fuß hoher Mohammedaner, bestätigte, die Nacht sei in der Tat sehr warm, aber es sei noch mehr Regen in Aussicht, der, seiner Gnaden Gunst vorausgesetzt, dem Lande bald Erleichterung bringen würde.
    »Es wird so sein, wenn es Gott gefällt«, erwiderte Strickland und begann seine Stiefel auszuziehen. »Aber da fällt mir ein, Bahadur Khan, daß ich dich lange Zeit unbarmherzig habe für mich arbeiten lassen - ja fast, seitdem du in meine Dienste getreten bist. Wann war das doch?«
    »Hat der Himmelsentsprossene es vergessen? Es war, als Imray Sahib im geheimen nach Europa ging, ohne es jemand zu sagen. Damals bin ich - und die andern - in den geehrten Dienst des Beschirmers der Unterdrückten getreten.«
    »So? Imray Sahib ist nach Europa gegangen?«
    »So heißt es unter denen, die seine Diener waren.«
    »Willst du wieder in seine Dienste treten, wenn er zurückkommt?«
    »Sicherlich, Sahib! Er war ein guter Herr und leutselig gegenüber seinen Untergebenen.«
    »Ja, das stimmt. Aber ich bin sehr müde jetzt und will morgen früh auf die Jagd gehen. Bring mir mal das kleine Präzisionsgewehr, das ich für die Schwarzbockjagd brauche, her! Es hängt dort im Kasten.«
    Der Diener nahm Lauf und Kolben und reichte die Stücke seinem Herrn, der sie zusammensetzte und dabei fürchterlich gähnte. Dann griff Strickland selbst in den Kasten, nahm eine scharfe Patrone heraus und schob sie in das Verschlußstück der 36o-Expreß.
    »Und Imray Sahib soll insgeheim nach Europa gereist sein? Ist das nicht sehr sonderbar, Bahadur Khan? Was meinst du?«
    »Was weiß ich von den Gebräuchen der Weißen, Himmelsentsprossener? !«
    »Sehr wenig, freilich. Aber du sollst sogleich mehr darüber erfahren. Ich habe nämlich gehört, daß Imray Sahib von einer sehr langen Reise zurückgekehrt ist und gerade jetzt im Zimmer nebenan liegt und auf seinen Diener wartet.«
    »Sahib!«
    Das Lampenlicht huschte über den Gewehrlauf, wie er sich schnell emporrichtete - mit der Mündung gegen Bahadur Khans breite Brust.
    »Geh hinein und überzeug dich selbst! Dein Herr ist müde und man wartet drinnen auf dich. Geh!«
    Der Mann ergriff eine Lampe und ging in das Eßzimmer. Strickland folgte ihm auf dem Fuße, schob ihn fast vorwärts mit der Flintenmündung. Bahadur Khan warf einen schnellen Blick in die gähnende Tiefe des Dachgebälks über dem Baldachin, dann auf die zuckende Schlange auf dem Fußboden und schließlich mit einem gläsernen Ausdruck im Gesicht auf das Ding unter dem Tischtuch.
    »Hast du gesehen?« fragte Strickland nach einer Pause.
    »Ich habe gesehen. Ich bin Erde in der Hand des weißen Mannes. Was gedenkt der Erhabene zu tun?«
    »Dich diesen Monat noch aufknüpfen lassen. Was denn sonst?«
    »Weil ich ihn getötet habe? Aber Sahib! Bedenke: während wir Imray Sahib bedienten, fiel sein Blick auf mein Kind - ein Knabe von vier Jahren. Er hat es behext. In zehn Tagen starb es an Fieber - mein Kind!«
    »Was hat Imray Sahib gesagt?«
    »Er hat gesagt, es sei ein schönes Kind, und hat ihm den Kopf gestreichelt. Deshalb ist mein Kind gestorben. Deshalb habe ich Imray Sahib getötet in der Dämmerung, als er aus seinem Amt gekommen war und schlief. Deshalb habe ich ihn nach oben unter die Balken geschleppt und das Dachtuch wieder festgemacht.

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