Dunkles Indien
auf festen Boden finden mußte, wenn ich mich nur scharf nach rechts oder links hielt. Als ich aber mit Pornic dementsprechend auf den Sandgrund des Flusses zusteuerte, überraschte mich der matte Knall eines Flintenschusses, der vom jenseitigen Ufer kam; im selben Augenblick pfiff eine Kugel an Pornics Kopf vorbei.
Über die Art der Schußwaffe konnte kein Zweifel bestehen: es mußte ein Martini-Henry-Gewehr gewesen sein. Ungefähr hundert Schritt von mir entfernt lag, mitten im Strom verankert, ein plumpes Boot und eine aus seinem Bug in die stille Morgenluft aufsteigende Rauchwolke verriet mir, woher diese zartsinnige Aufmerksamkeit gekommen war. Hat man jemals einen ehrenwerten Gentleman auf derart rüde Weise behelligt? – Der tückische Sand gestattete kein Entrinnen von dem Ort, den ich so ganz gegen meinen Willen betreten hatte, und ein Spazierritt am Flußufer löste sofort ein Bombardement seitens irgendeines verrückten Eingeborenen drüben auf dem Boot aus. Ich gestehe, ich geriet ganz aus der Fassung.
Eine zweite Kugel belehrte mich, daß es am besten sei, meine Wut herunterzuschlucken und mich schleunigst von der Sandbank in das Hufeisen zurückzuziehen. Dort angelangt, sah ich, daß der Knall des Gewehrschusses etwa fünfundsechzig menschliche Wesen aus den Dachshöhlen, die ich bisher für unbewohnt gehalten, gelockt hatte. Ich fand mich umringt von ungefähr vierzig Männern, zwanzig Weibern und einem Kind, das kaum mehr als fünf Jahre zählen konnte. Alle waren spärlich bekleidet mit jenem lachsfarbigen Stoff, der die Hindubettler kennzeichnet, und machten mir beim ersten Anblick den Eindruck von ekelhaften Fakiren. Das abstoßende Äußere der Bande und ihre Schmutzigkeit spottete jeder Beschreibung; ich schauderte bei dem Gedanken, welches Leben sie in den Höhlen führen mußten.
Selbst heutzutage, wo die Selbstverwaltung der Distrikte dem Respekt der Eingeborenen vor einem Sahib stark Abbruch getan hat, war ich immer noch an einen gewissen Grad von Höflichkeit seitens meiner Untergebenen gewöhnt und erwartete demnach wenigstens eine zivilisierte Beachtung meiner Anwesenheit. Beachtung fand ich allerdings, aber in einer Weise, die mich enttäuschte.
Die zerlumpte Bande lachte mir buchstäblich ins Gesicht – es war eine Art Lachen, die ich nie mehr wieder in meinem Leben zu hören hoffe! Sie grunzten, schnatterten, schrien, pfiffen und heulten wie besessen, als ich unter sie trat. Einige von ihnen warfen sich auf die Erde und wanden sich in widerwärtigen Lachkrämpfen. Sofort sprang ich aus dem Sattel und boxte, aufgeregt wie ich war von den Abenteuern dieses Morgens, aus Leibeskräften auf die Bande ein. Die Jammergestalten fielen wie die Kegel um unter meinen Hieben, und ihr Hohngelächter verwandelte sich sofort in ein Gewinsel um Gnade. Die, die keine Püffe davongetragen hatten, umklammerten meine Knie und flehten mich mit den seltsamsten und fremdartigsten Lauten an, sie zu verschonen.
Mitten in diesem Tumult – und ich schämte mich bereits heftig, daß ich mich so hatte gehen lassen, krähte eine hohe dünne Stimme hinter mir auf englisch: »Sahib! Sahib! Erkennen Sie mich denn nicht? Sahib, ich bin doch Gunga Daß, der Telegraphenbeamte!«
Ich drehte mich rasch um und faßte den Sprecher ins Auge.
Gunga Daß – ich wüßte keinen Grund, seinen Namen zu verschweigen – war ein Brahmane aus dem Dekkan, und ich hatte ihn vor vier Jahren als einen Angestellten aus dem Punjab-Gouvernement in einem der Khalsia-Staaten flüchtig gekannt. Er war damals Vorsteher einer Zweigtelegraphenstation gewesen und lebte in meiner Erinnerung als ein geschickter, wohlbeleibter Distriktsbeamter, der die wunderbare Gabe besessen hatte, Kalauer in englischer Sprache zu machen – eine Eigenschaft, die mich an ihn länger als an seine mir geleisteten amtlichen Dienste hatte denken lassen. Ein Hindu, der englische Kalauer zum besten gibt, kommt nicht alle Tage vor.
Jetzt, als ich ihn wieder sah, war er bis zur Unkenntlichkeit verändert. Kastenabzeichen, Schmerbauch, die schieferfarbenen Hosen, die gewählte Sprache – alles war dahin. Ich erblickte statt dessen ein verwittertes Gerippe vor mir, fast nackt, ohne Turban, das Haar lang und verfilzt, tief eingesunkene Schellfischaugen!
Wäre nicht eine sichelförmige Narbe an seiner linken Wange gewesen – die Folge eines Unfalls, den ich seinerzeit verschuldet hatte –, ich hätte den Mann überhaupt nicht wiedererkannt. Aber es war zweifellos
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