Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dunkles Indien

Dunkles Indien

Titel: Dunkles Indien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rudygard Kipling
Vom Netzwerk:
Möglichkeit, entkommen zu können, schüttelte ich Gunga Daß wieder und wieder die Hände, und wir verabredeten, noch in derselben Nacht einen Fluchtversuch zu unternehmen. Ich konnte es kaum erwarten, bis es Abend wurde.
    Es mochte meiner Schätzung nach etwa zehn Uhr geworden sein und der Mond tauchte gerade über dem Rande des Kraters auf, da stieg Gunga Daß in seine Höhle hinunter, um den Flintenlauf zu holen, der uns als Meßinstrument dienen sollte. Die übrigen elenden Bewohner des Dorfes hatten sich längst in ihre jämmerlichen Behausungen zurückgezogen; das Wachtschiff war schon vor einigen Stunden stromabwärts fortgeschwommen, und wir standen völlig unbeobachtet auf dem Krähenplatz. Gunga Daß nahm den Flintenlauf zur Hand und ließ dabei den Papierstreifen fallen, der unser Führer sein sollte. Schnell bückte ich mich, um ihn wieder aufzuheben, da sah ich an dem Schatten, der auf den Sand fiel, daß der Halunke im Begriffe war, mir mit dem Flintenlauf einen Schlag auf den Hinterkopf zu versetzen. Umdrehen konnte ich mich nicht mehr —. Ich muß wahrscheinlich einen schweren Hieb ins Genick erhalten haben, denn ich fiel bewußtlos am Rande des Schwimmsandes nieder.
    Als ich wieder zu Bewußtsein kam, stand der Mond bereits weit im Westen. Ich fühlte einen unerträglichen Schmerz im Hinterkopf. Gunga Daß war verschwunden und mein Mund voll Blut. Eine Weile lag ich so und betete, der Tod möge kommen und mich von meinen Leiden erlösen. Dann packte mich noch einmal jene besinnungslose Raserei, die ich schon einmal geschildert habe, und ich raffte mich auf und taumelte zurück zu den Kraterwänden. – Da schien es mir, als flüstere eine Stimme aus der Luft mir zu: »Sahib! Sahib! Sahib!« genau in dem Tonfall, in dem mich des Morgens mein Diener im Lager zu rufen pflegte. Zuerst glaubte ich, ich deliriere, dann, als eine Handvoll Sand zu meinen Füßen niederfiel, blickte ich in die Höhe und sah einen Kopf in das Amphitheater herabschauen – den Kopf Dunnoos, des Burschen, der für meine Hunde zu sorgen hatte. Als er bemerkte, daß ich ihn erblickt hatte, hielt er die Hand empor und zeigte mir einen Strick. Hin- und hertaumelnd, gab ich ihm ein Zeichen, er solle ihn herunterlassen. Ein paar lederne Punkah-Stricke waren zusammengeknotet und trugen am Ende eine Schlinge. Ich zog sie über Kopf und Arme, hörte Dunnoo etwas brummen, wurde mir bewußt, daß ich die steile Sandwand emporgezogen wurde, das Gesicht nach unten, und fand mich gleich darauf, halb erwürgt und beinahe ohnmächtig, oben auf dem Gipfel der Sandhügel, die den Krater umschlossen. Dunnoo, das Gesicht aschgrau im Mondlicht, bestürmte mich, keinen Augenblick verstreichen zu lassen und unverzüglich zurück zu den Zelten zu eilen.
    Allem Anschein nach hatte er Pornics Hufspuren vierzehn Meilen weit über den Sand, der sich bis zu dem Krater erstreckte, verfolgt. Dann war er zurückgegangen, um meine Diener von dem Geschehnis in Kenntnis zu setzen. Aber sie hatten sich aufs entschiedenste geweigert, mit jemand – gleichgültig, ob es ein Weißer sei oder ein Schwarzer –, der in dieses grauenhafte Dorf der Toten gefallen war, jemals wieder in Berührung zu kommen. So nahm denn Dunnoo eins meiner Ponys und ein paar Punkah-Stricke, kehrte allein nach dem Krater zurück und zog mich heraus, so, wie ich es beschrieben habe.

Das Stigma des Tieres
    »Eure Götter, oder meine Götter – wissen wir, welche von beiden die mächtigeren sind?«
    Indisches Sprichwort
    Östlich von Suez scheint die Vorsehung irgendwie zu versagen; die Menschen werden dort der Macht der Götter und Teufel Asiens überlassen; wenigstens tritt jene Vorsehung, die die englische Kirche lehrt, nur gelegentlich und auch dann nur sehr lahm in Tätigkeit, soweit es Europäer betrifft.
    Diese Theorie könnte so manches überflüssig grauenhafte Geschehnis im Leben Indiens erklären. Ich erwähne das, weil es auf meine Geschichte hier einigen Bezug hat.
    Mein Freund Strickland vom Polizeidepartement, der die Eingeborenen Indiens so gut kennt, wie selten einer, kann die Tatsache bezeugen; Dumoise war ebenfalls Augenzeuge, so, wie Strickland und ich. Nur der Schluß, den er daraus zog, war gänzlich unrichtig. Er ist jetzt tot. Starb auf sehr seltsame Weise. Darüber werde ich an anderer Stelle berichten.
    Als Fleete nach Indien kam, nannte er ein kleines Vermögen nebst Landbesitz in Dharmsala im Himalajagebiet sein eigen: Er hatte es von seinem Onkel geerbt und

Weitere Kostenlose Bücher