Dunkles Licht
kommen?
»Ich bin ganz erpicht darauf zu hören, welche Fortschritte Eure Schule macht«, sagte sie stattdessen.
»Sie blüht«, erwiderte die Dame und fügte verspätet hinzu: »Vielen Dank. Inzwischen hat sie sechs Schüler und vier Lehrer.«
»Ein würdiger Dienst an der Mutter.«
»Würdiger als die meisten«, sagte Lady Whatman. »Viel zu viele ihrer Kinder liegen wie Fußmatten herum und warten auf ein Wunder. Es ist längst überfällig, dass wir für unsere Rechte unter den alten Gesetzen aufstehen.«
Um einen Wettstreit zu beginnen, benötigte es zwei. »Ich schlage vor, dass Ihr das mit Bruder Hawke besprecht, wenn er hier eintrifft. Nun, wo sollen wir anfangen?«
»Ich zeige Euch Eure Zimmer. Unser Rektor ist sehr erpicht darauf, Euch kennenzulernen – Bruder Alfred. Ihr seid ihm schon früher begegnet?«
»Allerdings, und auch Nüsschen.«
Zunächst bekamen Nell und Dick ihre jeweiligen Zimmer zugewiesen und konnten sich nach ihrer Reise frischmachen. Danach wurde Dick Malory taktvoll ein paar Schülern anvertraut, die sogar noch jünger waren als er selbst und ihm das Haus und den Grundbesitz zeigen sollten. Dann erst war Nell endlich mit ihrer Gastgeberin und dem legendären Bruder Alfred allein. Sie fragten nach John Hawkes Gesundheit und Wohlergehen, aber er und Nell sagten sehr wenig von Bedeutung in Anwesenheit von Lady Whatman. Zwischen den Kindern der Erde gab es viele Geheimnisse.
Am folgenden Tag inspizierte Nell die schlau angelegten Verstecke in Rose Hall und begegnete sämtlichen Bewohnern: Lehrer, Schüler und Diener, sowohl im Haus als auch außerhalb. Sie sah Schüler, die Lektionen über die Ethik der Ablenkung erhielten, und andere, die Unterricht im grundlegenden Rechnungswesen bekamen, das ein hoher Herr beherrschen sollte. Später stellten die Jungen ihr zu Ehren ihre Reitkünste unter Beweis.
Am wichtigsten war, dass sie am Abend Lady Whatman versichern konnte, in Rose Hall gebe es keinen Spion oder möglichen Verräter. John Hawke konnte ohne Weiteres herkommen und bleiben. Später wiederholte sie diese Worte gegenüber Alfred in einem Gespräch unter vier Augen bei Kerzenschein in seinem Arbeitszimmer. Nach dem schönen Tag war es warm in dem Raum und der Wein ausgezeichnet.
»Nur zwei Menschen bereiten mir Sorge«, sagte sie. »Der eine ist Lady Whatman selbst. Sie ist ein Eiferer, und Eiferer können Freunde ebenso wie Feinde im Namen ihrer Sache Schaden zufügen, wobei die Sache selbst keine Rolle spielt.« Nell war abgestoßen von der rasenden Bitterkeit in der Frau, wie verständlich sie auch nach dem Verlust von Gatte und Sohn sein mochte. Mary Whatman war gefährlich, des Bösen fähig und ein lebendes Zeugnis der Gefahren von Rache, wie Rollo sie in seinen Predigten beschrieb.
Der alte Mann seufzte zustimmend. »Na ja, die arme Frau hat ihre Gründe. Ich lasse aber nicht zu, dass sie den Jungen Rache predigt, und sechs wären keine Revolution.«
Sechs Adepten könnten jedoch eine in Gang setzen.
»Ich finde es lustig, dass Eure Schule die Schüler zum Halten von Haustieren ermutigt.«
»Natürlich! Sie müssen Verantwortung lernen.« Alfred kicherte. »Wir können ihnen ihre Führer kaum verbieten, oder?«
»Sie haben alle Talent?«
»Ja, im Augenblick. Wir werden einige ohne Talent hinzuholen, um jener armen Kerle wie Alan willen, der sich schämt, weil er nur so wenig hat. Brad hat waggonweise. Er hat mich in Erstaunen versetzt, als ich ihn vor drei, vier Monaten kennengelernt habe, und er wird die ganze Zeit über stärker.«
Nell sagte »Ja« und trank einen Schluck Wein. Sie wusste, dass Alfred etwas zurückhielt, obwohl nichts Gefährliches. »Brad ist der andere, der mir Sorgen bereitet. Er ist nicht ihr Neffe, da bin ich mir sicher. Er ist so anmutig, höflich und
intensiv.
Seine angebliche Tante hat ihm Rache gepredigt, weil er sogar noch mehr Hass in sich angehäuft hat als sie.«
»Er hat seine eigenen Gründe und braucht keine Predigten ihrerseits. Aber er ist noch so jung! Sie sind eine feine Bande Jungs, und mit der Zeit werden ihm die anderen seine Kanten schon noch abschleifen.«
Oder er würde ihre schärfen. »Wer ist der Anführer?«
Alfred füllte die Gläser neu, vielleicht, weil er eine Möglichkeit suchte, eine unangenehme Wahrheit zu verbergen. »Leo, weil er der Älteste ist. Fragt mich im kommenden Jahr, und ich werde Euch sagen, Brad. Er ist gut und gern der Jüngste, aber sie fallen weder über ihn her, noch bemuttern sie
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