Dunkles Licht
für sich selbst sorgen. Jeder Mann, der sie belästigte, fände sich sehr bald in enormen Schwierigkeiten wieder, und sie kam wahrscheinlich mit zwei oder gar drei von diesem Abschaum zurecht. Wenn sie auf eine größere Bande stieße, könnte sie entfliehen, denn sie war sehr gut beritten. Daher war es geradezu pervers, dass ihr mehr Gefahr von den Aufrechten drohte als von den Wegelagerern, denn die Kirche hatte etwas dagegen, dass Frauen allein reisten, und entmutigte Frauen generell zu reisen. Andererseits kannte sie den Weg nicht, und ihr Schlangenvertrauter war nicht besonders gut darin, sie quer übers Land zu leiten.
Der junge Dick Malory war ein aufrichtiger, fröhlicher Gefährte, der in dem Moment, da sein Blick auf sie gefallen war, eine nervtötende Zuneigung zur Gattin von John Hawke gefasst hatte. Aber er gab sein Allerbestes, es nicht zu zeigen. Er begriff nicht, dass niemand etwas vor einer Frau mit Einsicht verbergen konnte. Sein stummes Begehren war sowohl schmeichelhaftals auch traurig, aber er war überaus glücklich, dass er sich eine schwerfällige Zündschlosspistole in den Gürtel stecken und ihr Begleiter werden durfte.
Die Familie Malory war der Mutter treu ergeben, und Haus Moor, ihre Heimat, stand den Missionaren immer als Versteck zur Verfügung. Rollo war gegenwärtig dort und predigte, heilte und hielt den Glauben aufrecht. Nell diente ihm als Botin. Sie untersuchte sein nächstes Ziel mit ihrer Einsicht und sorgte dafür, dass alles für ihn vorbereitet wurde. Es war eine würdige Aufgabe, sie genoss ihr Wanderleben und beschwerte sich einzig und allein darüber, dass sie so häufig von Rollo ferngehalten wurde. Wenn er am einen Ziel eintraf, war es für sie fast an der Zeit, das nächste zu erkunden. Ihre gemeinsamen Stunden waren ihnen sehr kostbar. Die Liebe brachte stets sowohl Schmerz als auch Freude mit sich, und ihre Liebe zu Rollo war tausendmal stärker als der welpenhafte Liebeskummer des jungen Dick Malory.
Dorsia war eine wohlhabende Grafschaft mit fruchtbaren Böden und Feldern, auf denen gerade golden das Korn reifte. Die Knechte waren von früh bis spät draußen: braune, fast nackte Männer, die Heu mähten, Frauen und Kinder, die es zu Garben banden, Pferde, die turmhoch beladene Wagen zogen. Die Dörfer waren klein und zahlreich, aber die Häuser waren sauber, mit weiß getünchten Mauern und roten Schindeldächern. Auf ihren Reisen war Nell noch kein besseres Land zu Gesicht gekommen, und wahrscheinlich würde sie auch keines mehr sehen. Dennoch entfuhr ihr beim Anblick von Rose Hall ein: »Oh, gesegnete Mutter!« Wahrscheinlich sah sie es im besten Moment, denn es schien im sanften Abendlicht wahrlich zu glänzen.
»Ein prächtiges Haus, nicht wahr?«, sagte Dick. »War schon im Besitz der Familie Whatman, als die Eier noch rechteckig waren.«
»Und dennoch ist ihre Linie ausgestorben?«
»Ja. Den Barbaren sei gedankt. Sie haben den verstorbenen Junker Mark geröstet, weil er zu viele Menschen von ihren Krankheiten heilte, die ihr Gott ihnen gesandt hatte, um sie Bescheidenheit zu lehren.«
»Die Kirche hat auch Heiler, wie du weißt. Nicht viele, und sie sprechen viele lärmende Gebete.«
»Und nehmen Spenden entgegen, habe ich gehört.« Er spitzte den Mund in jugendlicher Verachtung, ein junger Mann, dem es niemals an Essen auf dem Tisch mangelte.
Es war ein langer Tag gewesen, und Nell war froh, vor den uralten Toren von Rose Hall die Zügel ziehen zu können. Blitzschnell war Dick vom Pferd herunter und hielt ihr den Steigbügel und beim Absteigen auch noch die Hand. Sie war sorgsam darauf bedacht, ihm auch nicht um ein Geringes die Hand zu drücken, aber sie musste lächeln, als sie ihm dankte, obwohl das seine Begierde nur steigern konnte.
Sie wurde erwartet, und die Dame des Hauses begrüßte sie. Mary Whatman war eher hager als schlank, irgendwo Ende vierzig oder Anfang fünfzig, mit einem harten Gesicht, das daran gewöhnt war, seinen Willen zu bekommen. Selbst als sie zum Willkommensgruß lächelte, blieben die Augen hart und wachsam. Ihre Kleidung war von hoher Qualität, jedoch sehr dezent.
Die beiden Frauen begrüßten einander, und Nell war darum bemüht, die Konversation aufrechtzuerhalten. Wie sollte man eine Frau zu einem Haus beglückwünschen, das sie von einem inzwischen verstorbenen Gatten geerbt hatte? Wie ihren Ruf rühmen, die Sache voranzutreiben, wenn dieser Ruf sie vielleicht alles kostete, sollte er der Kirche zu Ohren
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