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Dunkles

Titel: Dunkles Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tommie Goerz
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Faltern hatte er nichts am Hut. Die kamen nur nachts zum Licht, flatterten um dich herum und flogen dir, wenn du Pech hattest, ins Bier. Und manchmal auch ins Gesicht, zumindest gegen den Kopf. Waren immer nur unkontrolliert und eigentlich immer nur lästig.
    »Ultrakurzwelle«, sagte der Mann. Er roch, und das nicht wenig. Eher streng.
    »?«
    »Damit riechen die Falter. Die Käfer übrigens auch.«
    Behütuns verstand kein Wort. Was war denn das hier in dieser Dachwohnung? In diesen Kammern unter dem Dach?
    Der Mann zeigte auf eine Zeichnung. Striche waren darauf, die aussahen wie Finger, alle abgehend von einer einzigen Linie. Aber alles sehr sauber vermessen. Mit Maßstab und Zahlenangaben.
    Wieder steckte der Mann kurz den Kopf aus der Dachluke und schrieb etwas auf.
    »Mit ihren Fühlern riechen die Falter«, sagte er und hielt Behütuns den einen hin. »Und die Käfer«, schob er noch einmal nach, als genügte es nicht, es einmal gesagt zu haben.
    »Und sehen Sie!«, deutete er aufs Papier, »die riechen über Ultrakurzwellen!«
    Das war der Triumph, das war die Essenz des Ganzen.
    Behütuns verstand kein Wort. Doch, die Worte schon, aber nicht deren Inhalt. Wie blöd das schon wieder war: Können denn Worte einen Inhalt haben? Worte sind Schall und Rauch, gesprochen und weg. Sein Gedanke wurde unterbrochen, der Alte sprach gnadenlos weiter:
    »Die Fingerchen der Fühler von den Käfern sind so angeordnet, dass sie Antennen entsprechen, und zwar immer exakt für eine bestimmte Frequenz!«, dozierte der Mann und dünstete vor sich hin. »Ich sage das schon seit Jahren, aber niemand hört auf mich!«
    Ein fetter Falter flog zum Licht, der Alte fing ihn ein. Eine Handbewegung, und schon hatte er ihn. Aber nicht irgendwie, nicht in der Faust oder so, sondern einfach zwischen zwei Fingern. Fast zart wirkte das, wie er ihn packte. Und der Falter hielt still. Als ob er ihn kenne und wisse, dass ihm nichts passiert.
    So war das also. Behütuns hatte sich das schon fast gedacht. Verirrtes Gehirn, unverstanden und sich dann auf irgendetwas versteift. Fühlerfingerabstände als Ultrakurzwellenantennen. Das war schon besonders schräg. Ultrakurzwellen, Frequenzen.
    »Wir jagen den ganzen Tag irgendwelche Wellen durch die Luft«, sagte der Alte, »und machen uns keine Gedanken. Die Käfer und die Falter aber«, fuhr er fort, »riechen sich über die Wellen, über viele Hundert Meter hinweg oft. Die brauchen das zum Balzen, zum Vermehren und so. Senden ihre Geruchsbotschaften aus und finden sich auf diese Art, sogar gegen den Wind. Die finden so ihre Weibchen. Verzeihen Sie ...«
    Er unterbrach seinen Sermon, sah zum Fenster hinaus, schrieb etwas auf.
    »Aber seit wir überall funken, erst im Krieg und mit dem Radio, jetzt mit dem Internet, mit Handys und all dem Zeug, da finden sich die Käfer nicht mehr richtig, und auch nicht mehr die Falter. Die sind doch alle verwirrt.«
    Behütuns schaute fragend. Verwirrt schien ihm nur der Alte.
    »Wenn du den anderen riechen musst, um dich fortpflanzen zu können, und du das über Frequenzen tust, die Luft aber voll ist von anderen Frequenzen, dann riechst du gar nichts mehr«, sagte der Alte, »und kannst dich nicht mehr vermehren.«
    Der Alte roch dafür umso mehr. Er musste sich aber auch nicht mehr vermehren. Bitte nicht.
    »Schauen Sie doch«, sagte er, »hier hab ich es schwarz auf weiß. Alles exakt vermessen. ›Olfaktorik‹ nennt man das, doch Osmologen haben davon keine Ahnung. Die machen Parfums und solches Zeug.«
    Der Alte schien resigniert. Dann steckte er wieder den Kopf zum Dachfenster hinaus, notierte sich etwas. »Ich habe das schon vor Jahren geschrieben.«
    Wenn du das so schreibst, wie du bist, dann wundert mich gar nichts mehr, dachte Behütuns. Dich nimmt man doch dann nicht ernst.
    »Was schreiben Sie denn da überhaupt auf?«, fragte Behütuns, »jedes Mal, wenn Sie aus dem Fenster sehen?«
    »Autonummern, Autotyp und so«, sagte der Mann. »Otto«, hatte ihn die Gassigehfrau genannt.
    »Und warum?«, fragte Behütuns.
    »Ich forsche.«
    »?«
    »Jedes Auto hat andere Frequenzen«, sagte Otto, »einen ganzen Salat jetzt mit der vielen Elektronik. Und auf jedes Auto reagiert ein Käfer anders. Ein Falter übrigens auch.«
    Behütuns sagte nichts. Er starrte nur aufs Papier.
    »Seit Jahren habe ich nachts kein Auto verpasst«, fuhr er fort, »keinen einzigen Typ. Protokolliert mit Modellbezeichnung und Nummer. Und gleichzeitig die Falter

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