Dunkles
Nahverkehrszug oder ein ICE? Behütuns machte eine Wette mit sich selbst. Der ICE gewann und donnerte vorbei, die Schranke aber blieb unten. Er wettete erneut.
Ob sie in diesem ICE auch jene Durchsage machten, die er einmal in einem gehört hatte? Da hatte man die Fahrgäste via Sprechanlage darüber informiert, zwischen welchen Wagen das Bordrestaurant sei, und dann hatte der Sprecher hinzugefügt: »Hier wartet das Serviceteam gerne auf Sie.« Behütuns hatte sie dann auch gerne warten lassen. Warum sollte man ihnen nicht die Freude machen, wenn sie schon gerne warteten.
Die reden überhaupt so manchen Quatsch in diesen Zügen, dachte er dann, während er wartete. Den zum Beispiel, bei der Einfahrt in einen Bahnhof: »Sänk ju vor träwelling wis auer Kampenie.« Hatte man denn eine Wahl? Konnte man auch mit einer anderen Gesellschaft fahren? Behütuns zumindest war keine bekannt. Die Schranke blieb geschlossen, Behütuns sah aus dem Fenster. Wo war das gewesen, auf welcher Fahrt? Er überlegte. Ja richtig, auf der Rückfahrt damals aus der Schweiz, wo sie diesen Hajo Schrader umgebracht hatten. Das war überhaupt so eine typische Reise gewesen, was die Deutsche Bahn anging. In der Schweiz hatte noch alles geklappt. Oder war das doch auf einer anderen Fahrt gewesen? Egal. Kaum in Basel aber, noch auf dem Bahnsteig, hatte es geheißen, der ICE nach Stuttgart falle aus, man solle stattdessen bis Karlsruhe den nach Frankfurt nehmen. Entsprechend voll war der Zug dann auch gewesen. Und dann war der Zugbegleiter aus dem Sichentschuldigen gar nicht mehr herausgekommen. Eine Durchsage jagte die andere. Erst waren die Toiletten in den Wagen Nummer sowieso bis sowieso kaputt, verstopft beziehungsweise »nur teilweise funktionsfähig«, was immer das auch heißen sollte, dann musste »leider« – ohne Angabe von Gründen – das Bordrestaurant schließen, und der Sprecher bat dafür um Verständnis, und schließlich hatte er noch eine Verspätung aufgrund hoher Streckenauslastung bekanntzugeben. Hmm. Fuhren denn da plötzlich auch noch fremde Züge auf dem Schienennetz herum? Auf jeden Fall hatte das sehr überrascht geklungen. Kam dieser Zug nicht irgendwie aus Erlangen? War das nicht ein Produkt des großen Unternehmens dort? Da wundert mich überhaupt nichts mehr, hatte sich Behütuns damals gedacht. Die Ingenieure von Siemens ...
Der nächste Zug ließ immer noch auf sich warten.
Dicke Falter tanzten im Licht der Straßenlaterne. Vielleicht hatte das Unfallauto auch hier gewartet? Den Arm im geöffneten Seitenfenster, sah er sich um. Rechts das Haus neben ihm dunkel, gegenüber der Bahnlinie die zwei Häuser auch. Jenseits von ihnen kam nichts mehr, dort war der Ort zu Ende. Nur diesseits des Bahnübergangs, links in dem Haus, brannte ein Licht. Gelblich quoll es aus dem Dachfenster hervor, und dort sah er eine Gestalt. Oder vermeinte, eine gesehen zu haben, nur eine Bewegung im Augenwinkel. Doch als er dann hinschaute, war das Fenster leer. Offen zwar, aber leer. Der muss doch das Zimmer voller Falter haben, dachte Behütuns, wenn man das Licht nachts so anlässt.
Ein Güterzug rauschte vorbei, nein: donnerte. Und nahm überhaupt kein Ende. Erst Holz, ganze Stämme, dann geschlossene Wagen, dann Autos, zweistöckig gestapelt, VWs, alle nagelneu. Unglaublich, wie lang so ein Zug ist. Und unglaublich, wie laut in der Nacht. Der Fahrtwind erfasste die Falter, die unter der Lampe taumelten. Der Zug verrauschte im Dunkeln, das machte die Nachtlandschaft weit. Die Schranke aber blieb immer noch unten. Die Falter flogen wieder gezielt gegen das Lampenglas. Links erneut eine Bewegung, im Augenwinkel, am Fenster. Doch als Behütuns den Kopf drehte und hinsah, war wieder nichts da. Keine Person. Das Gelb hinter dem Fenster, sonst nichts. Und doch war Behütuns sich sicher: Hier hatte jemand geschaut, hier war jemand am Fenster.
Jetzt endlich kam ein Zug. Aus der Gegenrichtung, langsam und hell erleuchtet, acht Wagen lang. Drei Personen nahm er darin wahr, verteilt sitzend in den Waggons. Auch hier das Licht gelb und heimelig. Schön musste es sein, so durch die Nacht zu fahren. Aber acht Wagen für drei Personen?
Dann öffneten sich die Schranken, und Behütuns fuhr los.
Kein Auto parkte oben auf dem Damm, diesem Stummel bei Eitersdorf. Behütuns stellte seinen Wagen ab, stieg aus und lauschte. Kein Mensch weit und breit, nur unten die Autos der Autobahn. Er ging ein paar Schritte, bis zum Ende des Asphalts. Ein Feldweg
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