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Durch den Schnee: Erzählungen aus Kolyma 1 (German Edition)

Durch den Schnee: Erzählungen aus Kolyma 1 (German Edition)

Titel: Durch den Schnee: Erzählungen aus Kolyma 1 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Warlam Schalamow
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geschafft hat, im Lager auf der faulen Haut zu liegen.«
    »Und die ehrliche Arbeit?«, sagte ich.
    »Zu ehrlicher Arbeit rufen im Lager die Schurken auf und die, die uns schlagen, zum Krüppel machen, unsere Verpflegung aufessen und lebende Skelette zum Arbeiten zwingen — bis in den Tod. Ihnen nützt sie, diese ›ehrliche‹ Arbeit. Sie glauben noch weniger an ihre Möglichkeit als wir.«
    Abends saßen wir um unseren lieben Ofen, und Fedja Schtschapow hörte aufmerksam Saweljews heiserer Stimme zu.
    »Nun, er hat die Arbeit verweigert. Sie haben ein Protokoll geschrieben — nach der Saison gekleidet...«
    »Was heißt das denn, ›nach der Saison gekleidet‹ «, fragte Fedja.
    »Nun, um nicht alle Winter- oder Sommersachen aufzuzählen, die du anhast. Man kann ja in einem Winterprotokoll nicht schreiben, daß einer ohne Steppjacke oder Handschuhe zur Arbeit geschickt wurde. Wie oft bist du zu Hause geblieben, wenn es keine Handschuhe gab?«
    »Wir durften nicht bleiben«, sagte Fedja schüchtern. »Der Chef hat uns gezwungen, einen Weg auszutreten. Sonst würde das heißen: nicht ausgerückt ›wegen Kleidermangel‹.«
    »Ganz genau.«
    »Erzähl noch mal von der Metro.«
    Und Saweljew erzählte Fedja von der Moskauer Metro. Für Iwan Iwanowitsch und mich war es auch interessant, Saweljew zuzuhören. Er wußte Dinge, von denen auch ich, als Moskauer, keine Ahnung hatte.
    »Bei den Mohammedanern, Fedja«, sagte Saweljew und freute sich, daß sein Gehirn noch beweglich war, »ruft der Muezzin vom Minarett zum Gebet. Mohammed hat die Stimme als Gebetsruf gewählt. Alles hat Mohammed ausprobiert: die Trompete, das Tamburinspiel, Signalfeuer, und alles hat Mohammed verworfen... Anderthalb Jahrtausende später, beim Prüfen des Signals für die Metrozüge, stellte sich heraus, daß weder der Pfiff noch die Hupe noch die Sirene vom menschlichen Ohr, dem Ohr des Metrofahrers, so sicher und genau erkannt wird wie die lebendige Stimme des Abfertigers, sein Ruf: ›Fertig!‹«
    Fedja staunte begeistert. Mehr als wir alle war er an das Leben im Wald gewöhnt und trotz seiner Jugend erfahrener als jeder von uns. Fedja konnte zimmern, er konnte in der Tajga eine einfache Blockhütte bauen, er wußte, wie man einen Baum umlegt und mit den Ästen einen Platz zum Übernachten befestigt. Fedja war Jäger — in seiner Gegend wurde man von Kind auf ans Gewehr gewöhnt. Kälte und Hunger hatten Fedjas sämtliche Vorzüge zunichte gemacht, die Erde verschmähte sein Wissen und sein Können. Fedja beneidete die Städter nicht, er verehrte sie einfach, und Geschichten von den technischen Errungenschaften, von den Wundern der Stadt konnte er ohne Ende anhören, trotz des Hungers.
    Freundschaft entsteht weder in der Not noch im Unglück. Jene »schwierigen« Lebensverhältnisse, die, wie uns die Märchen der schönen Literatur erzählen, unbedingte Voraussetzung für das Entstehen von Freundschaft sind, sind einfach zu wenig schwierig. Wenn Unglück und Not zusammenschweißen und Freundschaft zwischen Menschen entstehen lassen — dann heißt das, die Not ist nicht extrem und das Unglück nicht groß. Das Leid ist zu wenig heftig oder tief, wenn man es mit Freunden teilen kann. In wirklicher Not zeigt sich nur die eigene seelische und körperliche Kraft, klären sich die Grenzen der eigenen Möglichkeiten, der physischen Zähigkeit und moralischen Stärke.
    Uns allen war klar, daß wir nur zufällig überleben konnten. Und sonderbarerweise hatte ich in meiner Jugend für alle Fehlschläge und Mißgeschicke einen Spruch parat: »Wir werden schon nicht verhungern.« Ich war überzeugt, mit dem ganzen Körper überzeugt von diesem Satz. Und mit dreißig Jahren fand ich mich in der Lage eines Menschen, der tatsächlich an Hunger stirbt, sich um ein Stück Brot buchstäblich schlägt, und all das lange vor dem Krieg.
    Als wir zu viert an der Duskanjaquelle zusammenkamen, wußten wir alle, wir sind hier nicht als Freunde zusammengekommen; wir wußten, wenn wir überleben, werden wir einander ungern wiedersehen. Es wird uns unangenehm sein, uns an das Schlimme zu erinnern: den in den Irrsinn treibenden Hunger, das Verdampfen der Läuse in unseren Kochgeschirren, das haltlose Geflunker am Lagerfeuer, Wunschtraumgeflunker, die gastronomischen Märchen, unseren Streit miteinander und unsere identischen Träume, denn alle sahen wir im Traum ein und dasselbe: Roggenbrotlaibe, die wie Meteore oder Engel an uns vorüberfliegen.
    Das Glück des

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