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Durch den Schnee: Erzählungen aus Kolyma 1 (German Edition)

Durch den Schnee: Erzählungen aus Kolyma 1 (German Edition)

Titel: Durch den Schnee: Erzählungen aus Kolyma 1 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Warlam Schalamow
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Medizinischen Hochschule. Seine Freunde rieten Surowyj ab — er hätte ablehnen und allgemeine Arbeiten machen können, statt die offensichtlich gefährliche Arbeit anzutreten. Surowyj war von den allgemeinen Arbeiten ans Krankenhaus gekommen — er hatte Angst, dorthin zurückzukehren, und war bereit, in der Grube in seinem Beruf zu arbeiten. Die Leitung gab Surowyj Instruktionen, jedoch keine Ratschläge, wie er sich verhalten sollte. Es war ihm kategorisch untersagt, aus der Grube gesunde Ganoven einzuweisen. Nach dem ersten Monat wurde er in der Sprechstunde erstochen — zweiundfünfzig Messerstiche wurden an seinem Körper gezählt.
    In der Frauenzone einer anderen Grube wurde die alte Ärztin Schizel mit dem Beil erschlagen, von der eigenen Krankenpflegerin, der Ganovin Kroschka, die das Urteil der Ganoven vollstreckte.
    So sah das Rote Kreuz in der Praxis aus, wenn die Ärzte nicht parierten und sich nicht bestechen ließen.
    Die Erklärungen für die Widersprüche holten sich die naiven Ärzte bei den Ideologen der Ganovenwelt. Einer dieser Philosophen-Häuptlinge lag zu jener Zeit auf der Chirurgischen Station des Krankenhauses. Vor zwei Monaten, in der Isolierzelle, hatte er, um von dort herauszukommen, das übliche bewährte, jedoch nicht ungefährliche Mittel angewandt: er hatte sich in – zur Sicherheit – beide Augen Kopierstiftpulver gestreut. Die medizinische Hilfe kam zu spät, und der Ganove erblindete — im Krankenhaus lag er als Invalide, der den Abtransport aufs Festland erwartete. Doch wie der berühmte Sir Williams aus »Rocambole« beteiligte er sich auch als Blinder an der Ausarbeitung von Verbrechensplänen, und erst bei den Ehrengerichten galt er geradezu als unbestreitbare Autorität. Auf die Frage des Arztes nach dem Roten Kreuz und den von den Ganoven verübten Ärztemorden in den Bergwerken antwortete »Sir Williams«, die Vokale nach Zischlauten erweichend, wie es alle Ganoven tun:
    »Im Leben kann es verschiedene Situationen geben, wo das Gesetz keine Anwendung finden muß.« Er war Dialektiker, dieser »Sir Williams«.
    Dostojewskij beobachtet in den »Aufzeichnungen aus einem Totenhaus« gerührt das Benehmen der Unglücklichen, die sich wie große Kinder gebärden, sich für das Theater begeistern und sich kindlich harmlos in den Haaren liegen. Dostojewskij ist Vertretern der wirklichen Ganovenwelt nicht begegnet und hat sie nicht gekannt. Für diese Welt irgendein Verständnis zu äußern, hätte Dostojewskij sich nicht erlaubt.
    Ungezählt sind die Greueltaten der Ganoven im Lager. Unglückliche Menschen — die Arbeitenden, denen der Dieb den letzten Fetzen nimmt, das letzte Geld abknöpft, und der Arbeiter hat Angst, sich zu beschweren, weil er sieht, der Dieb ist stärker als die Leitung. Der Arbeiter wird von den Dieben geschlagen und zur Arbeit gezwungen — Zehntausende Menschen sind von den Dieben zu Tode geprügelt worden. Hunderttausende Menschen, ehemalige Häftlinge, sind von der Diebesideologie zersetzt und keine Menschen mehr. Etwas Ganovenhaftes hat für immer Einzug gehalten in ihren Seelen, die Diebe und ihre Moral haben in jeder Seele für immer eine unauslöschliche Spur hinterlassen.
    Der Chef ist grob und hart, der Erzieher verlogen, der Arzt gewissenlos, doch all das sind Bagatellen im Vergleich zur zersetzenden Kraft der Ganovenwelt. Die anderen bleiben dennoch Menschen, und ab und zu schaut das Menschliche in ihnen durch. Doch die Ganoven sind keine Menschen.
    Der Einfluß ihrer Moral auf das Lagerleben ist grenzenlos und allseitig. Das Lager ist von A bis Z eine negative Schule des Lebens. Niemand nimmt von dort etwas Nützliches und Notwendiges mit, nicht der Häftling, nicht sein Chef, nicht seine Bewacher, nicht die unfreiwilligen Zeugen – Ingenieure, Geologen und Ärzte –, weder Chefs noch Untergebene.
    Jeder Moment des Lagerlebens ist ein vergifteter Moment.
    Dort gibt es vieles, was ein Mensch nicht wissen darf, nicht sehen darf, und wenn er es gesehen hat — sollte er besser sterben.
    Der Häftling lernt dort die Arbeit hassen — er kann dort auch nichts anderes lernen.
    Er lernt dort Schmeichelei und Lüge, kleine und große Gemeinheiten, wird zum Egoisten.
    Zurück in der Freiheit, sieht er, daß er im Lager nicht nur nicht gewachsen ist, sondern seine Interessen enger geworden, daß sie dürftig und primitiv geworden sind.
    Moralische Barrieren sind beiseite geschoben.
    Er entdeckt, daß man Gemeinheiten begehen und trotzdem leben

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