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Durch den Schnee: Erzählungen aus Kolyma 1 (German Edition)

Durch den Schnee: Erzählungen aus Kolyma 1 (German Edition)

Titel: Durch den Schnee: Erzählungen aus Kolyma 1 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Warlam Schalamow
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wurden kalt.
    Ich fing an,
burka
an
burka
zu schlagen — wir trugen keine Filzstiefel, sondern gesteppte, aus alten Hosen und Wattejacken genähte Watte
burki
.
    Wieder klapperten Riegel, und die Doppeltür ging auf und ließ Licht, Wärme und Musik heraus.
    Ich trat ein. Die Tür vom Flur zum Eßzimmer war nicht geschlossen — dort spielte der Radioempfänger.
    Der Bevollmächtigte Romanow stand vor mir. Genauer gesagt, ich stand vor ihm, und er, kleingewachsen, füllig, nach Parfum duftend, wendig, wuselte um mich herum und musterte mit schnellen schwarzen Augen meine Gestalt.
    Der Häftlingsgeruch drang an seine Nase, und er zog ein schneeweißes Taschentuch hervor und schüttelte es. Wellen von Musik, Wärme und Eau de Cologne ergriffen mich. Die Hauptsache — Wärme. Der Holländerofen glühte.
    »Jetzt kennen wir uns«, sagte Romanow entzückt ein paarmal, rannte um mich herum und wedelte mit dem parfümierten Taschentuch. »Jetzt kennen wir uns. Nun, komm rein.« Und er öffnete die Tür zum Nebenzimmer — einem kleinen Kabinett mit Schreibtisch und zwei Stühlen.
    »Setz dich. Du wirst es nie erraten, weshalb ich dich herbestellt habe. Möchtest du rauchen?«
    Er kramte in den Papieren auf dem Schreibtisch.
    »Wie ist dein Vor- und Vatersname?«
    Ich antwortete.
    »Geburtsjahr?«
    »Neunzehnhundertsieben.«
    »Jurist?«
    »Ich bin eigentlich kein Jurist, aber ich habe in Moskau an der Juristischen Fakultät studiert in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre.«
    »Dann bist du Jurist. Hervorragend. Bleib hier sitzen, ich mache einen Anruf, und dann fahren wir beide.«
    Romanow glitt aus dem Zimmer, und bald darauf wurde die Musik im Eßzimmer ausgeschaltet und er sprach am Telefon.
    Ich schlummerte auf dem Stuhl ein. Ich träumte sogar irgendwas. Romanow verschwand ein paarmal und tauchte wieder auf.
    »Hör zu. Hast du irgendwelche Sachen in der Baracke?«
    »Ich habe alles bei mir.«
    »Na, hervorragend, wirklich hervorragend. Jetzt kommt das Auto, und wir beide fahren. Weißt du, wohin wir fahren? Das errätst du nicht! Direkt nach Chattynach, in die Verwaltung! Warst du schon da? Na, ein Scherz, ein Scherz...«
    »Mir ist alles egal.«
    »Das ist gut.«
    Ich zog die Schuhe aus, knetete die Zehen und wendete die Fußlappen.
    Die Wanduhr zeigte halb zwölf. Selbst wenn das alles Scherze waren mit Chattynach, würde ich trotzdem heute schon nicht mehr zur Arbeit gehen.
    In der Nähe brummte ein Auto, Scheinwerferlicht glitt über die Fensterläden und streifte die Decke des Kabinetts.
    »Fahren wir, fahren wir.«
    Romanow trug einen weißen Halbpelz, eine jakutische Malachaj-Mütze und bemalte Jakutenstiefel.
    Ich knöpfte die Steppjacke zu, band meinen Gurt und hielt die Handschuhe über den Ofen.
    Wir gingen hinaus zum Auto. Ein Anderthalbtonner mit offenem Wagenkasten.
    »Wieviel haben wir heute, Mischa?«, fragte Romanow den Chauffeur.
    »Sechzig, Genosse Bevollmächtigter. Die Nachtbrigaden wurden von der Arbeit geholt.«
    Dann war auch unsere, die Brigade Schmeljow, zu Hause. Ich hatte also gar nicht so ein Glück gehabt.
    »Na, Andrejew«, sagte der Operative Bevollmächtigte und hüpfte um mich herum. »Du steigst in den Kasten. Es ist nicht weit. Und Mischa fährt etwas schneller. Ja, Mischa?«
    Mischa schwieg. Ich stieg in den Wagenkasten, rollte mich zusammen und umfaßte die Beine mit den Armen. Romanow zwängte sich in die Kabine, und wir fuhren los.
    Die Straße war schlecht, und es rüttelte mich so durch, daß mir nicht kalt wurde.
    Ich mochte an nichts denken, und in der Kälte kann man auch nicht denken.
    Nach etwa zwei Stunden begannen Lichter zu blinken, und das Auto hielt vor einem zweistöckigen Blockhaus. Überall war es dunkel, nur in einem Fenster im ersten Stock brannte Licht. Zwei Posten in Fellmänteln standen vor der breiten Vortreppe.
    »Na, da sind wir, hervorragend. Er soll hier warten.« Und Romanow verschwand auf der breiten Treppe.
    Es war zwei Uhr nachts. Das Licht war überall gelöscht. Nur das Lämpchen am Tisch des Diensthabenden brannte.
    Ich mußte nicht lange warten. Romanow – er hatte schon abgelegt und trug die Uniform des NKWD – kam die Treppe hinuntergelaufen und winkte mit den Armen.
    »Hierher, hierher.«
    Zusammen mit dem Gehilfen des Diensthabenden ging ich hoch und blieb im Korridor des ersten Stocks vor einer Tür mit einem Täfelchen »Chefbevollmächtigter des NKWD Smertin « stehen. Dieses drohende Pseudonym (das war sicherlich nicht sein

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