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Durch den Wind

Titel: Durch den Wind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annika Reich
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und sich mit Siri zusammen drei Jahre lang jede Ausstellung in der Stadt angesehen. Aber warsie wirklich eine Künstlerin? War die Frage nicht schon beantwortet, wenn man sie sich überhaupt stellte? Sie drückte ihre Stirn in Victors Kopfkissen. Es wurde Zeit, dass er wiederkam.
    Friederike würde so etwas nicht passieren. Schon beim ersten Mal, als sie sich kennengelernt hatten, hatte sie das Gefühl, dass Friederike so strahlte, weil sie wusste, was sie wollte, und es umsetzte. Schon das erste Mal, als sie Friederikes Laden betreten hatte, hatte sie sich darüber gewundert, dass sich jemand das Recht nahm, so einen Raum zu schaffen, dass es jemanden gab, der keine Angst davor zu haben schien, seine Träume zu verwirklichen.
    Vielleicht sollte sie jetzt ein wenig von Friederikes Laden träumen und darüber einschlafen. Der Tag, an dem sie den Laden entdeckte, an den dachte sie am liebsten.
     
    Friederikes Laden lag in einer Seitenstraße in Berlin-Mitte. Alison mochte diese Läden, sie lagen meist etwas abseits der Touristenachsen und Galerienrundgänge. Sie mochte sie leerstehend, als Projekträume und auch dann noch, wenn sich doch mal eine Idee länger hielt; solche Läden kamen und gingen und schienen auf nichts angelegt zu sein, als flüchtigen Ideen eine kurze Verortung zu bieten.
    An dem Tag, an dem sie Friederike kennenlernte, hatte sie mehrere leerstehende Läden gesehen, die ihr besonders gefallen hatten. In einem stand ein Staubsauger auf einem verschmutzten Teppich; in einem anderen hingen dottergelbe Trockenhauben von rosalackierten Haken, und in einem dritten stand ein Hundekorb in einer Ecke unter einer Wand, an die Votivbildchen gepinnt waren. Doch Friederikes Laden stach selbst in dieser Reihe noch heraus. Es war unklar, um welche Sorte Laden es sich hier handelte – ob er eine Installation, ein Büro oder eine Art Café war.
     
    Der Laden war in einem Himbeerton gestrichen, und an die Wände waren Zeichnungen von zarten Tieren und Pflanzen gemalt und geklebt. Im Schaufenster standen Schokoladenkuchen, die mit einer dicken, gespachtelten Schicht Schlagsahne bedeckt und unterschiedlich dekoriert waren. Einer der Kuchen hatte eine Oberfläche aus aufgerollten Lakritzschnüren, so dass er aussah wie eine Langspielplatte. Auf der Tafel, die neben dem Eingang über der kleinen Treppe hing, stand mit Kreide geschrieben:
     
    Weiß
    Schokoladenkuchen mit Schlagsahne
    Weiße Texte
    Louis Trenkers Matterhornbesteigung
    Weiße Schätze
     
    Friederike trug ein froschgrünes T-Shirt, eine Haarspange mit Glitzersteinen, und ihre Augen blitzten unter den dunklen Locken hervor, die ihr in die Stirn hingen. Man konnte schon durch das Schaufenster hindurch erkennen, wie sehr sie den Raum bespielte, wie sehr sie ihn erfüllen konnte mit ihrer Präsenz. Alles an Friederike war rund und fest. Friederike, die Kuchen und der Laden sahen sich auf eine eigenartige Art und Weise ähnlich.
    Als Friederike im Türrahmen erschien und Alison fragte, ob sie nicht hereinkommen wolle, bekam sie einen Schreck (wie immer, wenn sie jemand ansprach, den sie nicht kannte), aber dann nickte sie und schloss ihr Fahrrad ab. Sie betrat den Laden, ihr Atem ging schneller, und sie erkannte jetzt, dass das der Laden von Yokos Freundin sein musste, dass das der Laden sein musste, von dem Yoko schon so viel erzählt hatte. Sie würde nicht fragen, nicht gleich am Anfang.
     
    Der vordere Raum war ziemlich klein und quadratisch. Der Fußboden war ein schönes altes Kirschholzparkett, das an einigen Stellen schon ziemlich mitgenommen aussah, aber frisch gewachst roch. Die Decken waren hoch und stuckverziert, und eine Glühbirne hing in den Raum. Die Tiere an den Wänden waren alle mit Accessoires versehen: die Rehe trugen Sonnenbrillen und die Frösche Turnschuhe, aber ansonsten sahen sie aus wie diese altmodischen Kinderzeichnungen.
    »Meine Hausgeister«, sagte Friederike, »sie vermehren sich, ständig kommt einer dazu, bald haben sie den Laden übernommen.«
    In der Mitte des Raums war eine Theke installiert, auf der mit einer weißen Metallspirale gebundene Papierstapel lagen. Das Titelblatt bestand aus einer weißen Lackfolie, die nicht beschriftet war. Daneben war ein kleiner Bildschirm aufgestellt, auf dem der Vorspann des Louis Trenker-Films flimmerte. Die Namen der Schauspieler zitterten in Schreibschrift über das Bild, und Musik drang leise aus dem Lautsprecher. Zwischen Theke und Schaufenster stand eine kleine Küchenzeile mit

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