Durch den Wind
nicht ...«, sagte Friederike.
»Ach was«, antwortete Alison: »Es ist nur, ich weiß es nicht.«
Bevor sie ging, fragte Friederike sie noch, ob sie ein Photo von ihnen machen dürfte.
Zwei Tage später, als Alison wieder in den Laden kam, begrüßten sie sich mit einer Scheu und einem verhaltenen Leuchten, wie es sonst nur Frischverliebte tun. Friederike gab ihr einen Umschlag, in dem das Photo steckte, auf dem Friederike sie umarmte, als wollte sie sie mitreißen, mit ihr irgendwohin aufbrechen, und sie selbst so durchscheinend aussah, als träumte sie. Wie eine kleine, schlampige, rothaarige Elfe.
»Bin ich wirklich so träge wie auf diesem Bild?« fragte Alison.
»Sagen wir mal so, du wirkst nicht gerade wie jemand, der nur vier Stunden Schlaf braucht. Aber keine Sorge: ich finde, das steht dir.«
Alison lachte. Dass sie so viel schlief, hatte auch mit ihrem Leben mit Victor zu tun. Was sollte man sich schon wünschen, wenn man glücklich war zusammen?
»Ich wollte immer so aussehen wie du: rothaarig, zart, schwebend. Aber, wie man sieht, weit gefehlt«, sagte Friederike lachend, dann betrachtete sie das Photo noch einmal und fuhr fort: »Außerdem sieht man, dass du dich in deinem Körper wohlfühlst. Du hast ein Bluse, einen Schal und eine Jacke an und wirkst dabei so, als kämst du gerade aus dem Bett. Sehr sexy.«
Alison schüttelte den Kopf, lachte und wendete sich ab. Sie schlug einen der Papierstapel, die vor ihr auf dem Tresen lagen, in der Mitte auf. »Eigentlich wollte ich schon gestern wiederkommen. Dieser Stapel ... – sind das die weißen Texte?«
Friederike nickte.
Sie blätterte eine Weile, dann las sie die ersten Zeilen einer Kopie aus Stifters Text Aus dem Bayerischen Walde:
Es wurde ein Schneesturm, wie ich ihn nie ahnte, und es wurden Wirkungen, die weit über mein Wissen gingen.
Friederike stellte den hohen, mattsilbernen Becher mit der geschäumten Milch zur Seite, es wurde wieder still im Laden.
Sie las weiter, zuerst leise, dann laut:
Es war ein Gemische da von undurchdringlichem Grau und Weiß, von Licht und Dämmerung, von Tag und Nacht, das sich unaufhörlich regte und durcheinandertobte, alles verschlang, unendlich groß zu sein schien, in sich selber bald weiße fliegende Streifen gebar, bald ganze weiße Flächen, bald Balken und andere Gebilde und sogar in der nächsten Nähe nicht die geringste Linie oder Grenze eines festen Körpers erblicken ließ.
Friederike presste den Espresso fest und sagte dann: »Du kennst das Gefühl.« Sie drückte den Knopf der Espressomaschine, der Motor brummte, die dunkle Flüssigkeit rann über zwei kleine Öffnungen in die Gläser.
Alison ging zu einem der Sessel, blätterte weiter und las:
Ich konnte nichts tun, als immer in das Wirrsal zu schauen. Das war kein Schneien wie sonst, kein Flockenwerfen, nicht eine einzige Flocke war zu sehen, sondern wie wenn Mehl von dem Himmel geleert würde, strömte ein weißer Fall nieder, er strömte aber auch wieder empor, er strömte von links gegen rechts, von allen Seiten gegen alle Seiten, und dieses Flimmern und Flirren und Wirbeln dauerte fort und fort und fort, wie Stunde an Stunde verrann. Und wenn man von dem Fenster wegging, sah man es im Geiste, und man ging lieber wieder zum Fenster.
»Genau das ist es«, sagte sie dann, »Weggehen hilft nicht, man geht lieber wieder hin und schaut es sich an.« Und während sie das sagte, dachte sie, dass sie dieses Stürmen kannte, nur wusste sie nicht, woher.
Friederike goss die Milch in die Gläser und schöpfte einen Berg Milchschaum auf die weiße Oberfläche. Sie stellte die beiden Gläser auf den Tisch in der Mitte des Raums und setzte sich. »Jetzt trinken wir erst einmal den Milchkaffee. Zum ersten lade ich dich ein, ab dann musst du zahlen«, sagte sie lachend, »ich bin nämlich Geschäftsfrau.«
Alison klappte die Texte zu: »Mit viel Zucker – ganz umsonst.«
Sie schauten sich lange an.
»Und einen Kuchen?« fragte Friederike.
Sie nickte. Und wieder überkam sie eine Scheu, die ihr sogar Farbe ins Gesicht trieb. Was war das? »Warum eigentlich Weiß?« fragte sie, um sich abzulenken.
Friederike stieß einen Laut aus, dann schwieg sie, dann antwortete sie: »Komisch, die Frage hab ich mir noch nicht gestellt.«
»Ich weiß auch nicht, warum ich welche Bilder gemalt habe. Das Einzige, was ich weiß, ist, dass es Kraft zehrt«, sagte Alison und blickte unsicher zu Friederike hinüber, aber ihr
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