Durch Himmel und Hoelle
als der beladene Karren an ihrem Versteck in der Hecke vorbeifuhr. Sie ließ ihn noch ein kleines Stück den Weg hinunterfahren, dann kroch sie blitzschnell unter der Hecke hervor und rannte in Richtung Wald, in der Hoff- nung, daß Tom sich nicht umschauen würde.
Ihre Lungen brannten, und sie hatte Seitenstechen, als sie endlich die ersten schützenden Bäume des Waldes erreichte. Elysia lehnte sich dankbar an den Stamm einer großen Eiche, um die Schönheit des herrlichen Sonnenaufgangs zu genießen. Das Licht flutete über die Felder, verwandelte das Grau in Grün - der Himmel war ein Prisma von wechselnden Rosa- und Orangetönen, die in ein leuch- tendes Blau übergingen. Sie war in Sicherheit!
Sie lächelte grimmig, als sie an das wilde Rennen über das Feld dachte. Als sie ein kleines Mädchen gewesen war, war sie immer fröhlich über die Felder gelaufen und hätte sich nicht träumen las- sen, daß sie einmal im Ernst um ihre Freiheit rennen würde.
Nach ein paar Stunden schmerzten ihre Beine vor Erschöpfung, und ihr schwindelte vor Hunger. Sie hörte in der Nahe einen Bach plätschern und folgte einem Pfad zu seinem Ufer. Dort kniete sie sich nieder und trank durstig das klare, perlende Wasser, das ihr über die Arme lief und die langen Ärmel ihres Kleides durchnäßte.
Sie kletterte das bemooste Ufer hinauf und holte das rotweiß ka- rierte Tuch, in das ihr kleiner Vorrat an Essen gewickelt war, hervor und breitete es auf ihrem Schoß aus. Elysia brach einen Kanten Brot ab, legte ein Stück Käse darauf und biß hungrig hinein. Dann nahm sie noch ein Stück von dem rosa Schinken, und zum Schluß knab- berte sie an einem der köstlichen Obsttörtchen - jedes Stück war ein Genuß. Als sie mit dem Törtchen fertig war, knurrte ihr Magen nicht mehr, und sie dachte bei sich, daß ihr noch nie eine Mahlzeit so gut geschmeckt hatte.
Elysia summte leise eine Melodie, und die Worte eines lang ver- gessenen Liedes fielen ihr wieder ein. Die Verse der Zigeunerballade klangen ihr in den Ohren, als sie sich zurücklehnte und in das kri- stallklare Wasser starrte.
Ich bin ein Wanderer, ein Wanderer, keine Fessel hält mich. Der Silbermond steht über mir, die Erde ist mein Bett Ich bin ein Wanderer, ein Wanderer, zwischen Berg und Tal Sie nennen mich Zigeuner-Jack, schöne Mädchen hab' ich allzu- mal.
Elysia sang leise und genoß die Worte. Ja, sie war frei. Frei, jedem Pfad zu folgen, den sie wählte, nicht gerade in die Richtung, die sie sich unter anderen Umständen ausgesucht hätte, aber sie würde das beste daraus machen - jetzt da sie alle Brücken hinter sich abgebro- chen hatte.
Sie ruhte sich noch ein paar Minuten aus, stand dann mühsam auf und ging den Bach entlang, um nach einer Stelle zu suchen, an der
sie ihn überqueren könnte, ehe sie tiefer in den Wald eindrang. Die Sonne verschwand ab und zu hinter den Wolken, die sich während des Tages zusammengezogen hatten. Ein kühler Wind kam aus dem Norden auf und verfing sich in Elysias Umhang, als sie unter dem Dach von Zweigen dahinschritt. Am späten Nachmittag war sie si- cher, genug Entfernung hinter sich gebracht zu haben, um sich auf die Nacht vorzubereiten.
Das bißchen Wärme verflüchtigte sich, als die schwachen Strah- len der Sonne verblichen, die Luft kühl und die Schatten länger wur- den. Elysia sah einen großen Baum im dämmrigen Licht und eilte darauf zu. Unter ihren Füßen spürte sie einen dichten Belag von Farnen. Sie setzte sich und holte ihr Essen heraus, aß aber sehr spar- sam, weil sie nicht wußte, wie lange der Proviant noch reichen mußte. Es konnte nicht mehr sehr weit sein, glaubte sie; irgend- wann am nächsten Morgen müßte sie die Hauptstraße erreichen.
Elysia holte ihr warmes Tuch heraus, nahm ihren Umhang ab, wickelte sich das Tuch um die Schultern und zog sich wieder ihren Umhang darüber. Jetzt war sie gegen die Kälte, die bald mit der Nacht aufkommen würde, gefeit. Sie konnte nur hoffen, daß der Sturm, der sich tagsüber angekündigt hatte, nicht mitten in der Nacht ausbrechen würde.
Sie rollte sich zusammen, die Knie fest an die Brust gedrückt und die Wange auf einen Arm gebettet. Sie schlief sofort ein, ungeachtet der Kälte und der Geräusche, die die kleinen Kreaturen des Waldes machten, während sie nach Futter unter den Bäumen suchten.
Elysia erwachte in einem leichten Regen, der vom bleiernen Him- mel fiel, und zitternd vor Kälte und Feuchtigkeit stand sie langsam auf. Ihr Körper war
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