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Durch Mark und Bein: 4. Fall mit Tempe Brennan

Durch Mark und Bein: 4. Fall mit Tempe Brennan

Titel: Durch Mark und Bein: 4. Fall mit Tempe Brennan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathy Reichs
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Obwohl mein gewohntes Frühstück aus Müsli und Kaffee besteht, haute ich rein wie ein Rekrut in der Grundausbildung.
    Ryan und ich aßen schweigend, und ich machte mir meine Gedanken. Seine Anwesenheit irritierte mich, aber warum? War es sein überbordendes Selbstbewusstsein? Seine bevormundende Haltung? Dass er sich in mein Revier drängte? Die Tatsache, dass ihm vor knapp einem Jahr sein Job wichtiger gewesen war als ich und er aus meinem Leben verschwunden war? Oder die Tatsache, dass er genau dann wieder aufgetaucht war, als ich Hilfe brauchte?
    Als ich nach dem Toast griff, fiel mir ein, dass er seine Undercover-Arbeit mit keiner Silbe erwähnt hatte. Mir sollte es recht sein. Ich fragte ihn nicht danach.
    »Die Marmelade, bitte.«
    Er gab sie mir.
    Ryan hatte mir wirklich aus der Patsche geholfen.
    Ich schmierte fingerdick Brombeerkonfitüre auf den Toast.
    Für die Wölfe konnte Ryan nichts. Und für den Absturz auch nicht.
    Ruby goss uns Kaffee nach.
    Und der Mann hat eben seinen Partner verloren, um Gottes willen.
    Das Mitleid war stärker als die Verärgerung.
    »Danke für deine Hilfe bei den Wölfen.«
    »Das waren keine Wölfe.«
    »Was?« Die Verärgerung meldete sich zurück.
    »Es waren keine Wölfe.«
    »Dann war es wohl ein Rudel Cockerspaniels.«
    »Es gibt keine Wölfe in North Carolina.«
    »Crowes Deputy hat von Wölfen gesprochen.«
    »Der Kerl kann wahrscheinlich einen Wombat nicht von einem Karibu unterscheiden.«
    »Wölfe wurden in North Carolina wieder angesiedelt.« Ich war mir sicher, dass ich das irgendwo gelesen hatte.
    »Das sind rote Wölfe, und die sind in einem Reservat im Osten, nicht in den Bergen.«
    »Ich nehme mal an, du bist Experte für die Tierwelt North Carolinas.«
    »Wie hielten sie ihre Schwänze?«
    »Was?«
    »Hatten die Tier die Schwänze erhoben oder gesenkt?«
    Ich musste überlegen.
    »Gesenkt.«
    »Ein Wolf streckt seinen Schwanz geradeaus. Ein Kojote hält ihn gesenkt und hebt ihn in die Horizontale, wenn er droht.«
    Ich sah das Tier vor mir, wie es schnupperte, dann den Schwanz hob und mich anstarrte.
    »Willst du mir sagen, dass das Kojoten waren?«
    »Oder wilde Hunde.«
    »Gibt es in den Appalachians Kojoten?«
    »Kojoten gibt es überall in Nordamerika.«
    »Na und?« Ich nahm mir vor, das zu überprüfen.
    »Nichts und. Ich dachte mir nur, dass es dich vielleicht interessiert.«
    »Es war trotzdem beängstigend.«
    »Ja. Aber du hast schon Schlimmeres erlebt.«
     
    Ryan hatte Recht. Der Vorfall mit den Kojoten war zwar Furcht einflößend, aber nicht das Schlimmste, was ich bis jetzt erlebt hatte. Die folgenden Tage waren allerdings gute Anwärter auf dieses Etikett. Jeden wachen Augenblick verbrachte ich bis zu den Ellbogen in zerfetztem Fleisch, trennte vermischte Überreste und setzte Körperteile wieder zusammen. Als Mitglied eines Teams von Pathologen, Zahnärzten und anderen Anthropologen bestimmte ich Alter, Geschlecht, Rasse und Größe, analysierte Röntgenaufnahmen, verglich antemortale und postmortale Skelettmerkmale und interpretierte Verletzungsmuster. Es war eine grausige Arbeit, die noch betrüblicher gemacht wurde durch die Tatsache, dass die meisten der analysierten Opfer so jung waren.
    Für einige war der Stress zu viel. Einige bissen die Zähne zusammen und hingen über dem Abgrund, bis Zitteranfälle, Tränen und unerträgliche Albträume die Überhand gewannen. Das waren diejenigen, die umfassende psychologische Betreuung brauchten. Einige packten einfach zusammen und fuhren wieder nach Hause.
    Bei den meisten aber passte die Seele sich an, und das Unvorstellbare wurde zum Alltäglichen. Wir distanzierten uns im Geiste und taten, was zu tun war. Jeden Abend, wenn ich einsam und erschöpft im Bett lag, tröstete ich mich mit den Fortschritten des Tages. Ich dachte an die Familien und sagte mir, dass das, was wir taten, sinnvoll war. Wir würden ihnen die Chance geben, dass sie mit dem Tod ihrer Angehörigen fertig werden konnten.
    Dann kam Fundstück Nummer 387 auf meinen Arbeitsplatz.

5
    Ich hatte den Fuß ganz vergessen, bis ein Bergungshelfer ihn mir brachte.
    Seit unserem ersten Frühstück war ich Ryan kaum noch begegnet. Ich stand lange vor sieben auf, verließ das Haus und kehrte erst weit nach Einbruch der Dunkelheit ins High Ridge House zurück, um dort noch schnell zu duschen und ins Bett zu fallen. Wir wechselten nur ein »Guten Morgen« oder »Einen schönen Tag«, und über seine Undercover-Operation oder seine Rolle

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