Durch Mark und Bein: 4. Fall mit Tempe Brennan
Keramikfiguren von Little Orphan Annie und ihrem Hund Sandy, von Shirley Temple im Heidi-Kostüm und von einem Collie, der vermutlich Lassie sein sollte.
Mein Geschmack in Bezug auf Wohnungseinrichtungen tendierte eher zum Schlichten. Zwar hatte ich nicht viel für die kalte Nüchternheit des Modernismus übrig, aber mit Shaker oder Hepplewhite konnte man mich glücklich machen. In einem Zimmer voller Krimskrams dagegen werde ich nervös.
»Es ist ganz reizend«, sagte ich.
»Ich lasse Sie jetzt allein. Abendessen war um sechs, das haben Sie verpasst, aber ich habe noch Stew im Ofen. Wollen Sie eine Schüssel?«
»Nein, vielen Dank. Ich gehe gleich ins Bett.«
»Haben Sie schon gegessen?«
»Ich habe keinen großen Hung –«
»Schauen Sie sich bloß mal an, Sie sind so dünn wie die Brühe in einem Obdachlosenasyl. Sie brauchen doch etwas im Magen.«
Warum machte sich nur jeder Sorgen um meine Ernährung?
»Ich bringe Ihnen ein Tablett rauf.«
»Vielen Dank, Ruby.«
»Sie brauchen sich nicht zu bedanken. Nur noch eins. Wir haben keine Schlösser hier im High Ridge House, Sie können also kommen und gehen, wie Sie wollen.«
Obwohl ich bereits in der Dekontamination geduscht hatte, packte ich meine wenigen Habseligkeiten aus und nahm ein langes, heißes Bad. Wie Vergewaltigungsopfer neigen Leute, die nach Massenunfällen aufräumen, oft dazu, es mit dem Baden zu übertreiben, einfach weil sie das Gefühl haben, Körper und Geist reinigen zu müssen.
Als ich aus dem Bad kam, standen Stew, Schwarzbrot und ein Becher Milch auf dem Tisch. Mein Handy klingelte, als ich eben eine weiße Rübe aufspießte. Da ich fürchtete, dass die Mailbox sich einschalten würde, schnappte ich mir meine Handtasche, leerte den Inhalt aufs Bett und wühlte zwischen Haarspray, Geldbörse, Pass, Terminkalender, Sonnenbrille, Schlüsseln und Make-up. Als ich den Apparat schließlich gefunden hatte, schaltete ich ihn ein und hoffte, dass es Katy war.
Sie war es. Die Stimme meiner Tochter rührte mich so sehr, dass ich Mühe hatte, meine Stimme unter Kontrolle zu halten.
Obwohl sie ziemlich ausweichend war, was ihren Aufenthaltsort anging, klang sie glücklich und gesund. Ich gab ihr die Nummer des High Ridge House. Sie sagte mir, sie sei bei Freunden und würde am Sonntagabend nach Charlottesville zurückkehren. Ich fragte sie nicht, und sie sagte mir auch nichts über das Geschlecht dieser Freunde.
Seife und Wasser und der lang ersehnte Anruf meiner Tochter hatten es geschafft. Mir war fast schwindelig vor Erleichterung, und ich hatte plötzlich einen Bärenhunger. Ich verschlang Rubys Stew, stellte meinen Reisewecker und fiel ins Bett.
Vielleicht war das Haus des Nippes doch nicht so schlecht.
Am nächsten Morgen stand ich um sechs auf, zog saubere Khakis an, putzte mir die Zähne, legte ein wenig Rouge auf und steckte meine Haare in eine Kappe der Charlotte Hornets. Das musste reichen. Als ich nach unten ging, nahm ich mir vor, Ruby wegen der Wäsche zu fragen.
Andrew Ryan saß auf der Bank an einem langen Kieferntisch im Esszimmer. Ich setzte mich auf einen Stuhl ihm gegenüber, erwiderte Rubys fröhliches »Guten Morgen« und wartete, während sie mir Kaffee einschenkte.
»Was machst du denn hier?«
»Ist das alles, was du mich je fragst?«
Ich wartete.
»Der Sheriff hat diese Adresse empfohlen.«
»Vor allen anderen.«
»Es ist nett«, sagte er und wies durchs Zimmer. »Liebevoll.« Er hob seine Tasse zu einer Botschaft über unseren Köpfen: Jesus ist Liebe stand für die Nachwelt eingebrannt auf einem dick lackierten Kiefernbrettchen.
»Woher wusstest du, dass ich hier bin?«
»Zynismus macht Falten.«
»Macht er nicht. Wer hat’s dir gesagt?«
»Crowe.«
»Was passt dir am Comfort Inn nicht?«
»Es war voll.«
»Wer ist sonst noch hier?«
»Oben sind noch zwei von den NTSB-Jungs und ein Special Agent vom FBI. Was macht die eigentlich so speziell?«
Ich ging nicht darauf ein.
»Ich freue mich schon auf die Männerwirtschaft im Gemeinschaftsbad. Zwei weitere sind noch hier im Erdgeschoss, und soweit ich weiß, drängen sich in einem Extrazimmer im Keller ein paar Journalisten.«
»Wie hast du hier ein Zimmer bekommen?«
Die wikingerblauen Augen schauten unschuldig wie ein Schuljunge. »Muss wohl Glück gewesen sein. Oder vielleicht hat Crowe Beziehungen.«
»Dass du ja nicht auf den Gedanken kommst, mein Bad zu benutzen.«
»Zynismus.«
Ruby kam mit Schinken, Eiern, Bratkartoffeln und Toast.
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