Durch Mark und Bein: 4. Fall mit Tempe Brennan
Verbindung gebracht werden konnten, wurden anhand ihres Strukturtyps sortiert. Nicht identifizierbare Teile wurden nach ihrer Fundstelle sortiert.
Wenn dann jedes Teilchen katalogisiert und einer Reihe von Tests unterzogen war, würden sie auf einem Rahmen aus Holz und Draht wieder zusammengefügt werden. Mit der Zeit würde so ein Flugzeug Gestalt annehmen, wie in einer rückwärts laufenden Zeitlupe, in der sich Millionen von Fragmenten zu einem wieder erkennbaren Objekt zusammenfügen.
Ich war bei anderen Abstürzen in solchen Wiederaufbau-Hallen gewesen und konnte mir die mühselige Prozedur deshalb vorstellen. In diesem Fall würde es etwas schneller gehen, weil die TransSouth Air 228 sich nicht in den Boden gerammt hatte. Sie war in der Luft zerbrochen und dann in großen Trümmern zur Erde getaumelt.
Aber sehen konnte ich das alles nicht. Man hatte mich verbannt. Anscheinend stand mir die Verzweiflung deutlich ins Gesicht geschrieben.
»Ich kann die Besprechung auch ausfallen lassen.« Ryan legte mir die Hand auf die Schulter.
»Ich bin okay.«
»Was hast du heute Nachmittag vor?«
»Erst bleibe ich hier sitzen und beende mein Mittagessen mit Boyd. Dann fahre ich in die Stadt und kaufe Hundefutter, Rasierer und Shampoo.«
»Stehst du das durch?«
»Vielleicht kriege ich Schwierigkeiten, die mit der Doppelklinge zu finden. Aber ich bleibe hartnäckig.«
»Du kannst einem ganz schön auf die Nerven gehen, Brennan.«
»Siehst du. Mir geht’s gut.«
Ich schaffte ein schwaches Lächeln.
»Geh zu deiner Besprechung.«
Als er verschwunden war, gab ich Boyd die letzten Pommes.
»Irgendwelche Lieblingsmarken?«, fragte ich.
Er antwortete nicht.
Ich vermutete, dass Boyd außer gekochten Eiern so ziemlich alles fraß.
Gerade stopfte ich Sandwich- und Pommes-Hüllen in die braune Einkaufstüte, als Ruby aus der Tür geschossen kam und mich am Arm packte.
»Kommen Sie! Kommen Sie schnell!«
»Was ist –«
Sie zerrte mich von der Schaukel und ins Haus. Boyd trottete hinter mir her und schnappte nach meinen Jeans. Ich war mir nicht sicher, ob es Rubys Drängen war, was ihn so erregte, oder die Tatsache, dass er eine verbotene Zone betreten durfte.
Ruby zerrte mich direkt in die Küche, wo ein Bügelbrett mit einer Levi’s darauf stand. Darunter sah ich einen Weidenkorb, der überquoll vor zerknitterter Wäsche. Sauber gebügelte Kleidung hing an jedem Schranktürknauf.
Ruby deutete auf einen kleinen Schwarzweißfernseher auf einer Anrichte gegenüber dem Bügelbrett. Ein Laufband am unteren Rand des Bildschirms kündigte wichtige Nachrichten an. Ein Sprecher verlas mit grimmigem Gesicht und ernster Stimme die Meldung. Obwohl der Empfang schlecht war, hatte ich keine Schwierigkeiten, die Gestalt hinter seiner linken Schulter zu erkennen.
Meine Umgebung versank. Ich registrierte nur noch die Stimme und das verschneite Bild.
»… aus Insider-Kreisen verlautete, dass eine Anthropologin entlassen wurde und Ermittlungen im Gange sind. Noch wurde keine Anklage erhoben, und es ist nicht klar, ob die Absturzermittlungen beeinträchtigt oder die Opferidentifikation in Mitleidenschaft gezogen wurden. Dr. Larke Tyrell, der Oberste Leichenbeschauer von North Carolina, hatte auf Anfrage keinen Ko mmentar. In anderen Nachrichten…«
»Das sind Sie, nicht?«
Ruby brachte mich in die Wirklichkeit zurück.
»Ja«, sagte ich.
Boyd hatte aufgehört, durch die Küche zu rennen, und beschnupperte den Boden unter dem Waschbecken. Er hob den Kopf, als ich sprach.
»Was sagt er da?« Rubys Augen waren groß wie Frisbees.
Etwas in mir machte klick, und ich brauste auf.
»Es ist ein Missverständnis. Ein verdammtes Missverständnis.« Es war meine Stimme, schrill und barsch, obwohl ich die Worte nicht bewusst ausgesprochen hatte.
Plötzlich wurde es heiß in der Küche, der Geruch nach Dampf und Weichspüler machte die Luft stickig. Ich drehte mich um und stürzte zur Tür.
Boyd rannte hinter mir her, und seine Pfoten flogen über den Teppich, als wir den Korridor entlangliefen. Ruby musste wohl denken, ich sei vom Satan besessen.
Als ich die Autotür öffnete, sprang Boyd hinten hinein, setzte sich auf den Rücksitz und steckte den Kopf in die Lücke zwischen den Vordersitzen. Ich hatte nicht die Willenskraft, ihn zu stoppen.
Ich setzte mich hinters Steuer und atmete ein paar Mal tief durch, weil ich hoffte, so eine Seite in meinem Bewusstsein umzublättern. Mein Herzschlag normalisierte sich. Ich
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