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Durch Zeit und Raum

Durch Zeit und Raum

Titel: Durch Zeit und Raum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeleine L'Engle
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kleine Wäldchen. Weit und breit kein Zeichen von Zivilisation. Nur gelegentlich hörte man aus der Ferne das tiefe Brummen eines Lastwagens auf der Schnellstraße – oder ein Flugzeug, das Kurs quer über den Himmel hielt. Aber meist blieb alles so still, daß man nichts vernahm als die natürliche Musik der Jahreszeiten. Im Frühling glaubte Meg manchmal sogar das Gras wachsen zu hören. Im Herbst sangen die Laubfrösche einander ihre Klage zu, daß nun die Freuden des Sommers zur Neige gingen; und nach einem plötzlichen Temperatursturz im Winter konnte Meg geradezu erschrecken, wenn alles Feuchte knisternd und knackend – wie leises Gewehrfeuer – zu Eis gefror. Heute nacht aber, wenn nicht wieder unerwartet Schreckliches geschah, würde es draußen ganz still sein. Für die Frösche, die Heuschrecken und die Grillen war es jetzt, Ende November, zu spät. Da seufzten wohl nur ein paar müde Blätter leise im Wind, und durch das hohe Gras raschelten hin und wieder die kleinen Nager und Räuber auf ihren nächtlichen Streifzügen.
    »Ein guter Vorschlag«, sagte Charles Wallace. »Ich werde zum Felsen gehen.«
    »Ich komme mit.«
    »Nein. Bleib da.«
    »Aber…«
    »Noch vor einer Woche warst du stark verkühlt, und Dr. Louise hatte schon Angst, du könntest dir eine Lungenentzündung zuziehen. Du darfst also nichts riskieren; denk an dein Baby.«
    »Ja, aber Charles…«
    »Meg!« bat er leise. »Irgend etwas blockiert mich. Davon möchte ich mich befreien. Dazu muß ich allein sein. Du kannst ja mit mir kythen; du sollst es sogar.«
    Meg schüttelte bedrückt den Kopf. »Ich bin ganz aus der Übung…«
    Kythen, das hieß: über alle Entfernungen hinweg bei jemandem zu sein und sich mit ihm verständigen zu können – in einer Sprache, die keiner Worte bedurfte. Charles Wallace war mit dieser seltenen Gabe geboren worden, und mit der Zeit lernte Meg, aufzunehmen, was er ihr zu-dachte, begriff sie, was er ihr zu verstehen gab. Kythen war mehr als »Hellsehen« oder »Telepathie«, und es war für Charles Wallace so natürlich wie das Atmen, forderte hingegen von Meg volle Konzentration. Auch konnte sie mit keinem anderen kythen als mit Charles Wallace und mit Calvin.
    Er versuchte ihr Mut zu machen. »Das ist wie mit dem Schwimmen oder Radfahren: hat man es erst einmal gelernt, kann man es für immer.«
    »Schon möglich. Trotzdem möchte ich mitkommen.« Der Gedanke ließ sich nicht zurückhalten: »Um dich zu beschützen.«
    »Meg!« beschwor er sie. »Ich brauche dich, aber ich brauche dich hier , damit du mit mir kythest – immer und überallhin.«
    »Überallhin – wohin?«
    Er war blaß geworden und stand wie unter einem inneren Druck. »Ich weiß noch nicht, wohin. Ich ahne bloß, daß etwas Wichtiges zu tun ist, daß die Zeit drängt und daß ein weiter Weg vor mir liegt.«
    »Warum vor dir?«
    »Vielleicht auch nicht vor mir. Das ist nicht so sicher. Aber vor – jemandem.«
    Wenn dieser Jemand den Auftrag nicht erkennt, schoß es plötzlich durch Megs Gedanken, dann wird die Welt zugrunde gehen!
    Sie beugte sich vor, umarmte ihren kleinen Bruder, gab ihm einen Kuß und sagte, überrascht von ihren eigenen Worten: »Der Friede sei mit dir!«
    Dann knipste sie das Licht aus, streckte sich unter die Decke und wartete darauf, daß Charles sich in ihren Gedanken meldete. Das Kätzchen räkelte sich und gähnte im Schlaf. Daß es so unbekümmert war, so ahnungslos, war tröstlich.
    Draußen schlug ein Hund an. Ruckartig setzte Meg sich auf.
    Das Bellen wollte nicht verstummen. Es war laut und fordernd. So hatte Fortinbras gebellt, um alle auf sich aufmerksam zu machen.
    Meg schaltete die Lampe ein; da wurde der Hund schlagartig still. Warum?
    Sie sprang aus dem Bett, zog sich hastig den Schlafrock um die Schultern, schlüpfte in die Pantoffeln und lief über die Treppe nach unten, ohne auf die siebente Stufe zu achten, die erbost aufstöhnte.
    Die Eltern und Charles Wallace waren in der Küche und streichelten einen riesigen Hund von nicht erkennbarer Rasse.
    Frau Murry zeigte sich nicht im geringsten überrascht. »Ich glaube, unser neuer Hund hat uns gefunden«, sagte sie zu Meg.
    Das Tier spitzte ein Ohr, das andere hing kraftlos herab. Herr Murry zupfte behutsam daran herum. »Es ist ein Weibchen«, sagte er. »Sieht furchterregend aus, scheint aber eher sanft und sehr intelligent zu sein.«
    »Kein Halsband, keine Marke«, stellte Charles Wallace fest. »Und sie hat Hunger.«
    »Richtest du ihr

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