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Durch Zeit und Raum

Durch Zeit und Raum

Titel: Durch Zeit und Raum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeleine L'Engle
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Geruch; und er beurteilte die Menschen fast ausschließlich nach den Ausdünstungen ihres Körpers.
    »Also, ich merke nichts«, hatte sein Vater einmal gesagt, als Chuck hinter einem Kunden, der soeben den Laden verließ, die Nase rümpfte.
    »Er riecht unzuverlässig«, hatte Chuck damals gemeint.
    Vater hatte daraufhin überrascht gegrinst. »Er ist unzuverlässig. So fein aufgeputzt er auch daherkommt, schuldet er mir doch mehr als ich mir eigentlich leisten kann.«
    Als die Ranken gekappt waren, lehnte sich Chuck an den rauhen Baumstamm und atmete den harzigen Duft ein. Großmutter und Beezie waren kaum noch zu sehen, aber selbst aus der Entfernung konnte Chuck den Geruch der alten Frau aufnehmen: sie roch nach weiter Ferne und nach Meer; aber nicht unbedingt nach jenem, das knapp hundert Kilometer von hier lag, sondern wahrscheinlich nach einer anderen, sagenhaften See…
    »Und du riechst nach Grün«, hatte Chuck ihr einmal gesagt, worauf sie erwidert hatte: »Ah, das kommt wohl davon, daß ich aus einem fernen, grünen Land stamme; und diesen Duft streift man nie ab.«
    »Und nach welcher Farbe rieche ich?« wollte Beezie gleich wissen.
    »Nach Gelb. Wie Butterblumen und Sonne und Schmetterlingsflügel.«
    Grün und Gold. Gute Gerüche. Vertraute Gerüche. Mutter war das Blau des Himmels am frühen Morgen, Vater das satte Mahagoni der Anrichte im Wohnzimmer, wenn das Licht aus dem Kamin über die polierten Fronten flackerte. Tröstliche, schützende Gerüche.
    Und dann dachte er plötzlich an den Duft von warmem Kuchen und frischgebackenem Brot, und er roch ihn von weitem und lief ihm entgegen.
    Die Familie hatte über dem Laden eine große, geräumige Wohnung. Zur Straße hin war das Lager; hier türmten sich die Kartons und Fässer. Dahinter lagen die drei Schlafzimmer: das der Eltern, sein eigener kleiner Verschlag und die große Kammer, die Beezie mit der Großmutter teilte. Wieder dahinter waren die Küche und der langgestreckte Raum, der als Wohn- und Eßzimmer diente.
    Das Feuer knisterte im Kamin, denn die Frühlingsabende wurden oft noch kühl. Die Familie hatte sich um den runden Tisch versammelt, auf dem die Kuchen und das Brot standen, noch warm vom Ofen, ein Topf mit Milch und die große Teekanne – mit der Stoffhaube, die Großmutter aus Irland mitgebracht hatte.
    Chuck ging an seinen Platz, und die Mutter goß ihm Tee ein. »Hast du wieder einen Baum gerettet?«
    »Ja. Nächstes Mal muß mir Pa aber die Heckenschere mitgeben.«
    Beezie schob ihm das Brett mit dem Brot und der Butter hin. »Nimm dir rasch deinen Teil, bevor ich alles weggegessen habe.«
    Chucks empfindliche Nase juckte. Im Zimmer roch es irgendwie fremd, und der unbekannte Geruch machte ihm Angst.
    Vater griff beim Kuchen zu. »In solchen Augenblicken wünscht man sich, daß es nicht nur einmal in der Woche Sonntagnachmittag wäre.«
    »Du wirkst in letzter Zeit recht müde!« sagte seine Frau besorgt.
    »Müde zu sein ist die Berufskrankheit eines Dorfkrämers, dem es am rechten Geschäftssinn mangelt.«
    Die Großmutter erhob sich ächzend von ihrem Platz am Tisch und ließ sich in den Schaukelstuhl sinken. »Die Arbeit fällt dir zu schwer. Du brauchst jemanden, der dir hilft.«
    »Das kann ich mir nicht leisten, Großmutter. – Komm, erzähl uns eine Geschichte!«
    »Du hast meine Geschichten so oft gehört wie es Sterne am Himmel gibt.«
    »Aber noch nicht oft genug.«
    »Für heute habe ich mich müde erzählt.«
    »Das nehme ich dir nicht ab«, zog Herr Maddox sie auf. »Vom Geschichtenerzählen wirst du nie müde. Im Gegenteil, je länger du redest, um so mehr fällt dir ein.«
    »Geschichten sind wie kleine Kinder. Sie wachsen von selbst.« Sie schloß die Augen. »Ich mache jetzt mein Nickerchen.«
    »Dann mußt eben du mir von der Indianerprinzessin erzählen, Pa!« bettelte Beezie.
    »Was belegbare Tatsachen betrifft, weiß ich ja nicht eben viel über sie. Matthew Maddox, mein vielgerühmter Vorfahre, von dem ich ein Quentchen Talent geerbt haben dürfte, beschreibt sie in seinem zweiten Roman. Der war seinerzeit ein Verkaufsschlager. Wie schade, daß Matthew seinen Erfolg nicht mehr erleben konnte; das Buch wurde ja erst nach seinem Tod veröffentlicht. Es trug seltsam fantastische Züge, und manche Kritiker bezeichnen es deshalb heute als den ersten utopischen Roman Amerikas, denn Matthew spielte mit dem Begriff der Zeit, und offenbar kannte er auch die Mendelsche Vererbungslehre. Wie auch immer, Beezie,

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