Durch Zeit und Raum
nach dem Essen: »Gehen wir nachschauen, ob die Leuchtkäfer schon da sind?« Es war Freitag, morgen war schulfrei, da konnten sie nach Belieben aufbleiben.
Chuck hatte das unbändige Bedürfnis, aus dem Haus zu laufen und dem Geruch zu entfliehen, der ihn in der Kehle würgte. »Gut, gehen wir!«
Als sie zum Felsen kamen, dämmerte es bereits. Sie setzten sich auf den Stein, der von der Sonne noch ganz warm war. Erst entdeckten sie nur vereinzelte Lichtpünktchen, aber als es immer dunkler wurde, ließ sich Chuck vom Anblick der zahllosen Leuchtkäfer immer mehr überwältigen. Sie stoben blinkend durch die Luft, zogen helle Spuren hinter sich her, wenn der Wind sie hochtrug, stürzten wie Sternschnuppen wieder ab und schienen völlig unbeschwert zu tanzen.
»Ach, Beezie!« rief er. »Ich bin ganz benommen vor Glück!«
Der Wald stand in ihrem Rücken als schwarzer Schatten. Die Sterne hatten sich hinter einem Wolkenschleier versteckt.
»Wenn die Nacht klar wäre, könnten wir die Leuchtkäfer nicht so gut sehen«, bemerkte Beezie. »So schön wie heute war es noch nie.« Sie lehnte sich auf der Felsplatte zurück, schaute hinauf in den verhangenen Himmel und schloß dann die Augen. Chuck folgte ihrem Beispiel.
»Jetzt können wir spüren, wie die Erde sich dreht«, sagte Beezie. »Spürst du es auch?«
Chuck kniff ganz fest die Lider zusammen. Plötzlich fuhr er mit einem leisen Schrei hoch. »Beezie! Mir war soeben, als wäre die Erde ins Taumeln geraten.« Er setzte sich auf und faßte hilfesuchend nach dem Felsen. »Es hat mich richtig schwindelig gemacht.«
Beezie kicherte leise. »Es ist eben nicht ganz ungefährlich, sich der Erde und den Sternen zu überlassen, den Leuchtkäfern und den Wolken und den Felsen. Leg dich nur wieder hin. Du wirst bestimmt nicht ins Weltall hinausgetragen.«
Er lehnte sich zurück und fühlte, wie die Wärme in seinen Körper drang. »Der Felsen ist richtig heiß.«
»So bleibt er den ganzen Sommer, weil weit und breit kein Baum ist, der ihm Schatten spendet. Dafür gibt es im Wald einen Felsen, der noch am heißesten Tag kühl bleibt, weil das Blätterdach über ihm auch den kleinsten Sonnenstrahl abhält.«
Chuck wurde von einem kalten Schatten gepackt. Ihn schauderte.
»Was ist dir denn jetzt wieder über die Leber gelaufen?« fragte Beezie leichthin.
Er sprang auf. »Gehen wir nach Hause!«
»Aber warum? Was hast du denn? Es ist so schön hier.«
»Trotzdem. Gehen wir nach Hause!«
Als sie ankamen, herrschte helle Aufregung. Herr Maddox war unter plötzlichen Schmerzen zusammengebrochen und eiligst ins Krankenhaus gebracht worden. Nur die Großmutter war zurückgeblieben, um auf die Kinder zu warten.
Kaum hatte Chuck das Haus betreten, zerbarst der schreckliche Geruch wie ein lautloser Knall.
Die Großmutter drückte die Kinder eng an sich.
»Was hat Pa? Was fehlt ihm?« fragte Beezie ängstlich.
»Der Arzt vom Rettungsauto sagt, es könnte der Blinddarm sein.«
»Aber Pa wird doch bald wieder gesund?«
»Mein liebes Kind, wir können nur warten und beten.«
Chuck drängte sich an sie. Er zitterte und brachte kein Wort heraus. Langsam löste sich der fremde Geruch auf und ließ eine seltsame Leere zurück.
Die Zeit schien stillzustehen. Wenn Chuck nach der Uhr schaute und dachte, wieder sei eine Stunde vergangen, waren die Zeiger kaum eine Minute weitergerückt. Später schlief Beezie ein, den Kopf auf dem Schoß der Großmutter. Chuck blieb wach, und sein Blick ging immer wieder von der Uhr zum Telefon, vom Telefon zur Tür, von der Tür zur Uhr… Zuletzt fielen aber auch ihm die Augen zu.
Im Traum lag er auf dem Felsen und spürte, wie die ganze Erde sich um die Sonne drehte. Plötzlich kippte der Felsen hoch, und Chuck glitt seinem Rand entgegen; verzweifelt versuchte er sich festzuhalten, um nicht in einen furchtbaren Abgrund zu stürzen, in eine unendliche See der Finsternis… »Der Felsen!« schrie er. »Er ist so steil…!« Und da faßte die Großmutter den Felsen mit fester Hand und hielt ihn auf, und der Traum zerrann.
… und der Felsen steile Schründe
D as plötzliche Schrillen des Telefons ließ Meg aufschrecken. Ihr Herz begann heftig zu klopfen, und sie sprang aus dem Bett, ohne auf Ananda zu achten. Den einen Fuß erst halb im Pantoffel, den Schlafrock nur flüchtig umgehängt, lief sie nach unten und ins Schlafzimmer der Eltern; aber das war leer, also hastete Meg weiter und in die Küche.
Vater war am Apparat und sagte: »Ist
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