Durch Zeit und Raum
und ein Mädchen, sie vielleicht dreizehn, er eher elf. Der Junge sah ganz wie ein Brandon Llawcae von heute aus: er trug Jeans und ein T-Shirt.
Also befanden sie sich nicht im Wann von 1865 .
Charles Wallace war nach Innen gegangen. In den Jungen, der nicht Brandon hieß.
Sondern Chuck.
Chuck! So hatte Frau O’Keefe Charles Wallace genannt.
Chuck war also jemand, den Frau O’Keefe kannte. Jemand, den sie als klugen Kopf bezeichnet hatte.
Da stand er nun neben dem Mädchen – ja, und da war auch noch eine alte Frau. Chuck Maddox und seine Schwester Beezie und ihre Großmutter. Sie lachten und bliesen gegen Löwenzahnkugeln) und sie zählten, wie oft jeder blasen mußte, bis auch die letzte kleine Spore sich vom grünen Stiel gelöst hatte.
Beezie Maddox hatte goldblonde Haare und wasserhelle Augen, und ihr Lachen klang fröhlich.
Chuck war eher verschlossen und schweigsam, seine Haare waren brünett, seine Augen blaugrau. Er lachte nicht so oft, sondern lächelte bloß.
Chuck war so sehr nach Brandon geraten, daß Meg ihn für einen direkten Nachfahren halten mußte.
»Ananda«, fragte sie, »warum habe ich solche Angst um ihn?«
»Wollen wir Pusteblumen blasen?« hatte Beezie vorgeschlagen.
»Aber nicht hier vor dem Laden!« hatte Vater erwidert.
Also waren Chuck und Beezie und die Großmutter am Sonntagnachmittag über den Bach geklettert und auf die Wiese beim großen, flachen Felsen gegangen. Aus der Ferne hörten sie das Brummen der Lastwagen auf der Schnellstraße, konnten sie von hier aus aber nicht sehen. Von Zeit zu Zeit zog ein Flugzeug über den Himmel. Sonst aber erinnerte nichts an die Segnungen der Zivilisation – und das war einer der Gründe, warum Chuck so gern über den Bach und durch das Wäldchen zum Felsen kam.
Beezie drückte ihm einen Löwenzahn in die Hand. »Du bist dran!«
Chuck mochte den Geruch der Sporenkugel nicht so sehr; er war schwer und modrig, und Chuck rümpfte angewidert die Nase.
»Mich stört er überhaupt nicht«, sagte Beezie. »Wenn ich den Stiel zerquetsche, riecht er nach grünen Pflanzen.«
Die Großmutter hielt sich die weiße Kugel unter die Nase. »Für alte Leute riecht nichts so wie früher.« Sie blies dagegen, und wie Schneeflocken stäubten die kleinen Schwänzchen in alle Richtungen davon und tanzten im Wind.
Chuck und seine Schwester mußten ein paarmal pusten, bis ihnen der Löwenzahn die Uhrzeit verriet – denn so war die Spielregel: so oft man blasen mußte, bis nichts mehr fortzupusten war, so spät war es. Die Großmutter kam zwar rasch außer Atem, und sie hatte unterwegs die Hand ans Herz gepreßt, als die drei durch das Farnkraut am steilen Bachufer geklettert waren, aber jetzt genügte ein zartes Anhauchen, und schon löste sich auch die letzte Spore wie von selbst und zitterte durch den Sonnentag.
»Großmutter, wie machst du das?« staunte Chuck. »Wir pusten mit aller Kraft drauflos, und bei dir genügt ein winziges Pfft!«
»Wahrscheinlich übertreibt ihr in eurem Eifer. Und wer nach der Zeit fragt, muß sich nicht vor der Antwort fürchten.«
Chuck betrachtete nachdenklich den nackten grünen Stiel in der Hand der Großmutter. »Ich habe viermal geblasen; aber es ist bestimmt noch nicht vier Uhr. Welche Zeit hat dir der Löwenzahn verraten?«
Die Frühlingssonne versteckte sich hinter einer kleinen Wolke; vielleicht waren die Augen der Großmutter deshalb plötzlich ein wenig trüber geworden. »Er verrät mir etwas über längst vergangene Zeiten, als das Tal noch von einem See bedeckt war – behauptet jedenfalls euer Vater – und ganz andere Menschen hier lebten. – Erinnerst du dich noch an die Pfeilspitze, die du gefunden hast, als wir die Tulpenzwiebeln einsetzten?« Sie verstand es meisterhaft, das Thema zu wechseln.
»Beezie und ich haben später auch andere gefunden. Eine habe ich immer in der Tasche. So eine Pfeilspitze ist praktischer als ein Messer.« Er fischte das kleine abgeflachte Dreieck aus den Jeans.
Auch Beezie trug Jeans. Über den dünnen Knien waren sie schon ganz abgewetzt. Ihre blau-weiß karierte Bluse begann bereits über der Brust zu spannen. Jetzt griff Beezie in die Hosentasche und holte ein altes Pfadfindermesser und einen verbogenen Löffel heraus. »Großmutter«, sagte sie, »daß der Löwenzahn uns die Zeit verrät – das ist doch nur ein Aberglaube, oder?«
»Was denn sonst? Es gibt bessere Möglichkeiten, sie zu schätzen; zum Beispiel nach dem Stand der Sonne oder der Länge der
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