Durch Zeit und Raum
Briefe ein. Bran hielt sein Versprechen und schilderte Matthew in allen Einzelheiten, was er erlebte:
Ist es nicht erstaunlich, wie eng eines ins andere greift, vor allem für uns, die wir walisisches Blut in den Adern haben? Meine besten Freunde hier sind Richard Llawcae, seine Gattin und ihr Sohn Rich. Sie müssen mit uns allen entfernt verwandt sein, denn selbst in Wales ist Llawcae kein weitverbreiteter Name. Richard sagt, seine Vorfahren seien zur Zeit der ersten Niederlassungen in die Neue Welt ausgewandert, später aber nach Wales zurückgekehrt, weil sie die Hexenjagden in den Städten und Dörfern nicht länger ertragen konnten. Einer der ihren wurde sogar verbrannt, meint er, oder erst im letzten Augenblick vor dem Scheiterhaufen bewahrt. Sie wissen allerdings nicht genau, in welcher Gegend die Llawcae damals gelebt hatten; wahrscheinlich im Gebiet von Salem.
Rich hat nur noch Augen für Gwen-, und ich wünschte, sie würde das endlich erkennen und seine Liebe erwidern, denn ich könnte mir keinen besseren Schwager denken. Aber Gwen zieht offenbar Gedder vor. Der ist schlanker und größer und stärker – wie ich wohl annehmen muß —, vor allem aber versteht er es aufzufallen. Er macht mir Sorge. Zillie hat mir von seinem brennenden Ehrgeiz erzählt, und von Tag zu Tag wird er uns gegenüber immer hochfahrender. Bei Gott, er ist uns eine große Hilfe; ich bezweifle ja überhaupt ernsthaft, daß die Kolonie ohne die Indianer überlebt hätte, denn hier ist alles ganz anders als daheim. Sie zeigen uns zum Beispiel, wann das Saatgut in die Erde kommen muß und wie man es hegt und bewässert. Wir sind wahrhaft dankbar, daß uns die Indianer nicht bloß freundlich sondern auch stets hilfreich begegnen. Dennoch zöge ich es vor, wenn Gedder mehr seinen Stammesgefährten gliche und nicht so launenhaft und herrschsüchtig wäre. Uns allen mißfällt, wie er seine Schwester behandelt, als wäre sie seine willfährige Sklavin.
In ihren Gesichtszügen gleicht Zillie in bemerkenswerter Weise Gwen und Zillah: Ihre Augen stehen weit auseinander und nur andeutungsweise schräg – sind aber nicht blau, sondern von einem warmen Braun —, und sie hat eine kleine Nase und vorstehende Backenknochen. Und, natürlich, langes, glattes, schwarz schimmerndes Haar. Die Leute reden bereits über die Ähnlichkeit zwischen Gwen und Zillie. Ich habe bisher mit keinem außer den Llawcaes über die Legende von Madoc gesprochen, die uns nun bis nach Vespugia folgt; und sie haben meine Worte zum Glück nicht mit einem Lachen abgetan. Wahrlich, die Wirklichkeit übertrifft jede Erfindung. Mache also eine schöne Geschichte daraus, Matt. Eine schöne Geschichte für mich.
Das werde ich tun! versprach ihm Matthew in Gedanken. Bestimmt. Aber zuvor mußt du mir noch mehr berichten.
Mein Haus ist beinahe fertiggestellt. Es ist groß und luftig und wird von einer Veranda gesäumt. Jeder hier weiß, daß es für meine Braut und unsere Kinder bestimmt ist. Zillie kommt oft, steht schweigend da, ein wenig abseits, und schaut. Dann fühle ich mich unbehaglich. Sie kommt wohl nicht aus eigener Absicht. Ich glaube, Gedder schickt sie. Ich spreche oft über meine Zillah und wie sehr ich den Tag herbeisehne, an dem sie mir nachfolgt. Matthew, Zwilling, mache deinen ganzen Einfluß bei Dr. Llawcae geltend, damit er sie bald ziehen läßt! Warum hält er sie fest! Jetzt, jetzt brauche ich sie!
Als der Winter anbrach und Matthew nicht mehr aus dem Haus konnte, kam Zillah beinahe täglich von Madrun nach Merioneth zum Nachmittagstee, und wenn sie einmal ausblieb, fehlte sie Matthew mehr, als er sich einzugestehen wagte. Er arbeitete mit Nachdruck an der Fertigstellung seines zweiten Romans, für den er sich wesentlich höhere Ziele gesteckt hatte als für sein Erstlingswerk, ermüdete aber rasch; und dann lag er auf dem schwarzen Sofa und war in Gedanken bei Bran und in Vespugia – den ganzen Winter lang, den Sommer hindurch, bis in den zweiten Winter. Er fühlte sich seinem Zwillingsbruder näher als je zuvor, und wenn er in den Schlaf hinüberdämmerte, meinte er oft, tatsächlich in den ausgedorrten Weiten Vespugias zu sein und an allem teilzuhaben, was in der kleinen, verschworenen Gemeinschaft der Kolonisten geschah. Am anderen Morgen brauchte er nach dem Erwachen gewissermaßen nur noch mit dem Bleistift auf dem großen Schreibblock festzuhalten, was er im Laufe der Nacht gesehen und gehört hatte.
»Du bist blaß, Matt«, stellte Zillah
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