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Durcheinandertal

Durcheinandertal

Titel: Durcheinandertal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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Karten, trank, rauchte und saß brütend und finster die Zeit ab. Sommers zogen die Reichen wieder ein, die 40
    noch Reicheren diesmal, und als es wieder Winter wurde, mutete das Syndikat den Aufenthalt im Kurhaus zwei hochkarätigen Spezialisten zu, durch welche die Katastrophe unumgänglich wurde. In ihrem Fach hochkünstlerische Naturen werden von der Langeweile besonders korrumpiert.
    Ihr fiel Elsi zum Opfer, die fünfzehnjährige Tochter des Gemeindepräsidenten, die an einem schneelosen kalten Novembermorgen mit einer roten Mütze und in einem roten Pullover und Bluejeans auf dem vom Hund gezogenen Milchwagen stehend, vor dem Lieferanteneingang erschien.
    Marihuana-Joe und Big-Jimmy waren die zwei berühmtesten Killer des nordamerikanischen Kontinents. Beide groß und hager, war der eine der berühmtere, der andere der berüchtigtere, der eine ein Moralist, der andere ein Ästhet.
    Marihuana-Joe verdankte seinen Namen dem Umstand, daß er jedem seiner Opfer einen Joint zwischen die entseelten Lippen steckte, nicht weil er Marihuana rauchte, sondern weil er andeuten wollte, der Tote sei ein schlechter Mensch gewesen.
    Er heftete seinen Opfern auch Zettel an die Brust, worauf zu lesen war, warum er sie umgebracht hatte, doch nannte er nie den wirklichen Grund, den nur das Syndikat wußte, er schrieb den hin, der für seinen Ruf genügte, jemand ins Fadenkreuz seines Zielfernrohrs zu nehmen: Ehebrecher, unehrerbietig seiner Mutter gegenüber, Atheist, Geizhals, Päderast, Kommunist usw., weshalb das Time Magazine schrieb, als es Marihuana-Joe zum Mann des Jahres erklärte, eigentlich könnte dieser mit seinen moralischen Grundsätzen die gesamte Bevölkerung der Vereinigten Staaten abknallen. Rätselhaft blieb, warum ihn die Polizei nicht zu fassen vermochte. Er ging nach der Tat leichtsinnig, wenn auch scharfsinnig vor. Er schreckte vor nichts zurück, um an seinen Opfern sein 41
    Kennzeichen anzubringen, sei es, daß er zu der Leiche ins Trauerhaus schlich oder sich in die Gerichtsmedizin einschmuggelte oder wohin auch immer. Keine seiner Leichen war nachträglich vor ihm sicher. Selbst als die Polizei Pepe Runzel ausbuddelte, weil seine Witwe behauptete, er habe nicht Selbstmord begangen, und den Sarg öffnete, fand sie zwischen Pepes Zähnen den Joint und auf der Brust einen Zettel: Bordellbesitzer. Im Gegensatz zu Marihuana-Joe war Big-Jimmy nicht populär, ja die Polizei bezweifelte geraume Zeit, daß es so einen wie ihn überhaupt gab, sie war der Meinung, es müsse sich um mehrere handeln. Ihm waren die Opfer gleichgültig, ihn interessierte die Kompliziertheit der Aufgabe. Seine Opfer wurden in verschlossenen WCs gefunden, in von der Polizei bewachten Krankenzimmern, scheinbar schlafend in der ersten Klasse von Flugzeugen oder in ihren Sesseln zusammengesunken im Senat oder im Repräsentantenhaus. Hatte er eine Aufgabe gelöst, verkroch er sich in einem Puff, wo er oft wochenlang blieb und wohl auch hin und wieder eine Bemerkung fallenließ oder im Schlaf schwatzte, so daß sich bei der Polizei allmählich die Überzeugung durchsetzte, Big-Jimmy gebe es wirklich, worauf das Syndikat, das wußte, was die Polizei vermutete, es vorzog, ihn mit Marihuana-Joe einen Winter über im Kurhaus verschwinden zu lassen. Dem Moralisten fiel es leicht, dem Ästheten schwer, Marihuana-Joe suchte sittliche Sammlung, Big-Jimmy sinnliche Entspannung, der eine suchte zu meditieren, der andere Weiber, Marihuana-Joe verschwand bisweilen in der Nacht, ohne daß es jemand bemerkte, saß im Gebälk der verfallenen Kirche oder in einem Zimmer des leeren Pfarrhauses. Big-Jimmy lauerte dem Mädchen auf, das zweimal in der Woche die Milch brachte, kurze, braune, burschikose Haare, blauäugig, unbefangen und frisch, ahnungslos, daß durch die Ritzen der geschlossenen 42
    Fensterläden Schwerverbrecher nach ihm spähten, geil, zu einem unnatürlichen Zölibat verdonnert.
    So war es nicht zu vermeiden. Big-Jimmy wollte den andern nur zuvorkommen, und Marihuana-Joe versuchte Big-Jimmy bloß daran zu hindern, hatte er doch, wenn alles vom Mädchen schwatzte, gedroht, er breche jedem das Genick, der es zu belästigen wage. Aber beide hatten nicht mit dem Hund gerechnet. Dieser riß, im Bestreben Elsi zu verteidigen, Wagen und Kessel um und verbiß sich in den Hintern Marihuana-Joes, der das Mädchen retten wollte, während Big-Jimmy sich mit dem Mädchen in der Milchlache wälzte und im Wald über dem Kurhaus jemand betrunken mit lauter

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