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Durcheinandertal

Durcheinandertal

Titel: Durcheinandertal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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im Spital.
    Elsi stapfte durch den Schnee zum Kurhaus hinauf, vor dem Eingang zum Park blieb sie stehen, schaute zum Kurhaus hinüber, stand da in ihrem dicken roten Pullover und der roten 53
    Mütze. Das Kurhaus lag im Schneelicht, es leuchtete durch die Bäume des Parks, etwas leckte ihre Hand, es war Mani, der Elsi gesucht hatte, sie sagte, er solle heimgehen, der Hund wälzte sich durch den Schnee die Schlucht hinunter. Elsi näherte sich dem Kurhaus, fand eine frische Fußspur, folgte ihr, die Fußspur führte zum Lieferanteneingang, Elsi blieb stehen, wartete, sagte zaghaft hallo, stand da, ging ums Kurhaus herum durch den tiefen Schnee, kam wieder zu den Fußspuren zurück, zu der fremden und der ihren. Plötzlich wurde es eiskalt. Das Kurhaus lag nicht mehr im Sonnenlicht, das lag nun oben im Wald, und die Felsen des Spitzen Bonders leuchteten hell.
    Das Dorf lag längst im Schatten. Der Gemeindepräsident schnitzte an Mani herum. Seit er Mani hatte, schnitzte er an dem Holzblock, der Hund sollte ein Abbild vom sitzenden Mani werden, so würde Mani ewig leben, aber er wurde es immer nur fast, der Kopf war nie ganz wie der Manis, er suchte ihn zu verbessern, und wenn der Kopf Mani glich, war das übrige zu groß, dann schnitzte er am Leib herum, und wenn der endlich stimmte, stimmte der Kopf nicht mehr, und so wurde die Holzschnitzerei immer kleiner, jetzt hatte sie die Größe eines Dürbächlers und das Aussehen eines Mopses, so unkonzentriert hatte der Gemeindepräsident gearbeitet. Er legte sein Werkzeug beiseite. Ein neuer Holzblock mußte her. Irgend etwas hatte er falsch gemacht, nicht nur bei der Schnitzerei, aus Elsi wurde er nicht klug, er war mit ihr nie zurechtgekommen, und er hatte keine Ahnung, wo sie sich herumtrieb. Der Hund war auch verschwunden gewesen, aber jetzt lag er vor der Haustür. Der Gemeindepräsident stapfte durch das Dorf. Der Hund bellte ihm nach. Es grauste ihm wohl, mitzukommen.
    Das Dorf war wie ausgestorben. Die Straße nicht vom Schnee 54
    geräumt. Einmal sank er bis zur Hüfte ein. Ein Kellereingang war zugeweht, so daß er ein Teil der Straße schien. Vor der Garage standen zwei Taxis mit meterhohen Schneedecken. Aus der Finte ›Zur Schlacht am Morgarten‹ torkelte Zavanetti in sein Antiquariat. Jemand lebte noch. Auch bei der Post. Die Witwe Hungerbühler warf ihren täglichen Brief ein. Vom Schulhaus her hörte er rezitieren: »Verlaßt mich hier, getreue Weggenossen! Laßt mich allein am Fels, in Moor und Moos!
    Nur immer zu! Euch ist die Welt erschlossen, die Erde weit, der Himmel hehr und groß; betrachtet, forscht, die Einzelheiten sammelt, Naturgeheimnis werde nachgestammelt.« Es war Adolf Fronten, der Schulmeister. Er war aus der Kantonshauptstadt gekommen und im Dorf hängengeblieben.
    Schicksalsweisheit, hatte er gemeint, das Dorf sehe aus wie an einen Schattenhang hingeschissen, aber sei andern Kaffs vorzuziehen, weil es in ihm keinen Grund gebe, nüchtern zu sein. Er ging gegen sechzig, ein Hüne mit feuerroten Haaren und einem feuerroten Bart, schneeweiße buschige Brauen über stechend blauen Augen und so voller Sommersprossen, daß er von sich sagte, seine Mutter habe vergessen, ihn bei der Geburt abzutrocknen. Er hatte einmal seltsam zarte Geschichten geschrieben: ›Die Väter des Vaters der Söhne des Zebedäus‹,
    ›Was wäre, wenn Erzbischof Mortimer schwanger würde?‹,
    ›Leise, aber fürchterlich‹, ›Die Klage des Viehs und der Weiber‹, ›Das Schweigen der Posaunen von Jericho‹, zusammen kaum fünfzig Seiten, bekam den Matthias-Claudius-Preis, bereiste mit Unterstützung der Pro Helvetia und des Goethe-Instituts Kanada, Ecuador und Neuseeland, verprügelte im Suff einen Erziehungsdirektor und nahm die Stelle eines Dorfschulmeisters im Durcheinandertal an, das er seitdem nicht mehr verließ. War er einer der ersten gewesen, der, von Robert Walser beeinflußt, die treuherzige Kindlichkeit in die eidgenössische Literatur eingeführt hatte, so erklärte Fronten 55
    nun seine literarische Produktion für Mist. Zwar hörte er nicht auf zu schreiben. Im Gegenteil. Er schrieb immerzu, schrieb, während er rezitierte, schrieb, während er soff, schrieb auch während der Schulstunden, riß die Blätter vom Block, warf sie weg, überall lagen sie herum, in der Schule, auf der Straße, im Wald jenseits der Schlucht hinter dem Kurhaus. Aber es waren nur noch einzelne Sätze, die er schrieb, ›Denkstützen‹, wie er sie bezeichnete, Sätze wie

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