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Durcheinandertal

Durcheinandertal

Titel: Durcheinandertal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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noch. Die wollen Österreicher und Schweizer zugleich sein und Liechtensteiner noch dazu. Aber was hat ein Liechtensteiner im Durcheinandertal zu suchen? Da steckt etwas dahinter, das wir am besten nicht aufstöbern, wir stöbern in den Tresoren unserer Banken auch nicht herum.
    Geheimnisse sollen geheim bleiben. Und ein Prozeß ändert daran nichts.
    Mach deine Anzeige nicht, auch wenn’s stimmt, jede Unschuld geht einmal verloren, und mit dem Liechtensteiner will ich mal reden, ich wette, der läßt seine Anzeige auch fallen. Nur den Hund mußt du erschießen. Das muß ich als Polizeidirektor fordern, im Frühjahr wird das ›Haus der Armut‹
    wiedereröffnet, da sind durch deinen Mani weit kostbarere Füdle im Spiel als dem Nachtwächter seines.«
    »Den Hund erschieße ich nicht, und die Anzeige mache ich auch«, sagte der Gemeindepräsident störrisch.
    Der Regierungspräsident erhob sich. »Dann laß ich den Hund erschießen. Rumple in dein Nest zurück, und das schleunigst, ich muß in den ›Bären‹ zum Jaß.«
    Beim Polizeiposten stieg der Gemeindepräsident aus dem Bus und machte bei Lustenwyler die Anzeige. Jetzt müsse er doch schreiben, murrte der, eine Kalbshaxe essend, und brauchte einige Tage, bis er die Anzeige geschrieben hatte, und noch einige Tage vergingen, bis er zum Dorf hinauffuhr und vom Gemeindepräsidenten die Unterschrift unter der Anzeige 61
    hatte, diesem ratend, er solle sich einen Rechtsanwalt nehmen, von jetzt an gehe es lang. Darauf schickte Lustenwyler, der nicht wußte, was er mit der Anzeige machen sollte, sie zum Polizeiposten im übernächsten Dorf, wo ein Wachtmeister war, den er kannte. Dieser fand den Brief nach zwei Tagen in der Post, als er sie zufällig durchsah, und brachte die Anzeige persönlich zum Gemeindeschreiber, der auch noch der vom Volk gewählte Kreisrichter war. Aber weil der Gemeindeschreiber mit den Steuererklärungen, die er für jeden steuerpflichtigen Gemeindebürger persönlich ausfüllte, noch nicht fertig war, schickte er Ende März die Anzeige in die Kantonshauptstadt zum Untersuchungsrichter, der die Anzeige las. Der Untersuchungsrichter war von seinen Vorurteilen bestimmt. Eigentlich hatte er Chirurg werden wollen, das Geld fehlte, er wurde Jurist, auch hier fehlte das Geld, selbständig zu werden, immer fehlte das Geld, er wurde Beamter, auch hier haperte die Karriere, er war nicht der eigentliche Untersuchungsrichter, der war in den Ferien, er war auch nicht dessen Stellvertreter, der war erkrankt, er war der Stellvertreter des Stellvertreters. Durch seine Erfolglosigkeit überzeugt, daß alles im Kanton falsch laufe, war er sofort überzeugt, daß Elsi vergewaltigt worden sei und daß der Hund nur zugebissen habe, um Elsi zu verteidigen. Doch weil der Grund seiner Überzeugung in jenem Minderwertigkeitsgefühl lag, das nie endende Erfolglosigkeit und Pechsträhnen bewirken, fehlte ihm der Mut, auf die Anzeige einzugehen, und er schob sie in den Briefumschlag zurück. Sein Vorgesetzter, der eigentliche Stellvertreter des Untersuchungsrichters, hatte sich am nächsten Montag von der Grippe erholt. Er ließ die Anzeige im Briefumschlag. Was vom Durcheinandertal komme, sagte er, lese er prinzipiell nicht. Dafür las die Anzeige der wirkliche Untersuchungsrichter, als er von den Ferien zurückkam, um so gründlicher, schüttelte den Kopf, resümierte, da liege doch 62
    schon eine Schadenersatzklage vor, von welcher der Regierungspräsident meine, sie pressiere nicht, und einige Rechtsanwälte hätten gefragt, ob der Gemeindepräsident Pretánder den Nachtwächter des Kurhauses angezeigt habe, und jetzt diese Anzeige. Da braue sich ein Prozeßdurcheinander zusammen, das unzählige Untersuchungen und Verhöre nötig mache wie jede Lappalie, die sich durch alle ihr verfügbaren Instanzen bis vors Bundesgericht fresse, und wenn sie endlich dort angekommen sei, habe das gute Meitschi längst fünf Bälger, und es sei ihr furzegal, welcher von wem stamme.
    Da sei Verhütung oberste Pflicht der Justiz. Vergewaltigung!
    Und das noch im Durcheinandertal. Das sei dort halt die natürlichste Art von Beischlaf. Er sei doch nicht so blöd und hetze sich den ›Blick‹ und den ›Beobachter‹ auf den Hals. Er begrub die Anzeige unter einem Stapel noch zu behandelnder Anzeigen, und am Abend im ›Bären‹ beim Jassen fragte er den Regierungspräsidenten, ob der Gemeindepräsident vom Durcheinandertal bei ihm gewesen sei. Der Regierungspräsident, einen

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