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Durcheinandertal

Durcheinandertal

Titel: Durcheinandertal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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Gemeindepräsident.
    »Wie ich«, sagte Fronten. »Ich habe mich auch ins Durcheinandertal verirrt. Was bleibt einem anderes übrig in diesem Land, Gemeindepräsident, als sich hierher zu verirren?«
    Dann stierte er vor sich hin, vergaß den Gemeindepräsidenten, bemerkte nicht, ob er noch zuhörte oder schon gegangen war, ging auf einmal zum Küchenfenster, riß es wieder auf und schrie: »Die verdammte Frau von Stein.«
    Der Gemeindepräsident war zu sehr Bauer, als daß ihn die Möglichkeit, Elsi sei doch vergewaltigt worden, in Rage 58
    versetzt hätte, aber Elsi war noch nicht sechzehn, das sei Unzucht, hatte Lustenwyler gesagt, und nun ärgerte es den Gemeindepräsidenten, die Unzucht nicht angezeigt zu haben, aus lauter Sorge, der Hund könnte verklagt werden, was ja nun geschehen war. Nun mußte er ihn retten, Elsi war Gott sei Dank vergewaltigt worden, der Schulmeister hatte es gesehen.
    Aber weil er ein Bauer war, hatte auch alles seine Zeit, und so fuhr er denn auch erst Ende Februar mit dem Postauto zum nächsten Dorf und von dort mit der Bahn, die bei jedem Nest hielt, in die Kantonshauptstadt. Er hatte sich beim Regierungspräsidenten angemeldet, und ein Regierungspräsident hatte jeden Gemeindepräsidenten anzuhören, auch wenn es von ihnen über zweihundert gab. Dafür brauchte er nicht zimperlich mit ihnen umzugehen.
    »Pretánder«, schnauzte ihn der Regierungspräsident an, dem außerdem das Justiz- und Polizeiwesen des Kantons unterstand, bevor der Gemeindepräsident überhaupt sein Anliegen vorbringen konnte, »die Geschichte ist mir nur zu gut bekannt, es liegt längst eine Schadenersatzforderung des Kurhausmieters vor, der Gebissene ist schlimm von deinem verflixten Vieh zugerichtet worden, das immer noch frei herumläuft, der arme Teufel kann jetzt noch nicht sitzen, der betroffene Körperteil ist total zerfleischt, ob er überhaupt wieder herzustellen ist, fraglich. Geht es dir nicht in den Grind, Pretánder? Du wirst dich wundern, was dir alles blühen kann. Ich mein es gut mit dir. Zeig wenigstens deinen guten Willen und erschieß den Hund.«
    »Die vom Kurhaus sollen ihren guten Willen zeigen«, antwortete der Gemeindepräsident. »Elsi ist vergewaltigt worden, und Mani hat sie nur verteidigt.«
    »Vergewaltigt?« stutzte der Regierungspräsident, »vom Nachtportier? Dem ist doch das Füdle verbissen worden.«
    »Von einem andern ist Elsi vergewaltigt worden«, erklärte 59
    der Gemeindepräsident, »während Mani eben den Falschen erwischt hat.«
    Der Regierungspräsident runzelte die Stirn. »Das meldest du erst jetzt?« fragte er.
    »Ich habe gedacht, Mani geschieht nichts, wenn ich es nicht melde«, erklärte der Gemeindepräsident.
    Der Regierungspräsident lehnte sich zurück. »Pretánder«, sagte er, »wir beide brauchen uns doch nichts vorzumachen, Mädchen in diesem Alter haben die unanständigsten Wunsch-phantasien.«
    »Ich habe einen Zeugen«, wandte der Gemeindepräsident ein.
    »So, einen Zeugen«, antwortete der Regierungspräsident,
    »wen denn?«
    »Den Fronten«, sagte der Gemeindepräsident.
    »Der Dichter. So, so, der Dichter«, meinte der Regierungspräsident. »Wenn du eine Anzeige wegen Unzucht machen willst, mußt du sie beim Polizist einreichen, der meldet sie dem Staatsanwalt, und der teilt sie dem zuständigen Kreisgericht zu.«
    »Alles soll wieder von vorne anfangen?« fragte der Gemeindepräsident entsetzt.
    »Ordnung muß sein.«
    »Ich mache die Anzeige«, sagte der Gemeindepräsident.
    »Pretánder«, antwortete der Regierungspräsident, »du bist ein Stierengrind und läßt dich in eine Sache ein, die für dich und das Durcheinandertal nicht gut ausgehen kann. Ich kann dir nicht sagen, warum. Du meinst, weil ich Regierungspräsident bin und außerdem das Justiz- und Polizeiwesen unter mir habe, wisse ich besser Bescheid als du. Einen Dreck weiß ich. Ich sage dir, Gemeindepräsident, unser Land ist das undurch-sichtigste Land der Erde. Niemand weiß, wem was gehört und wer mit wem spielt, wer die Karten im Spiel und wer sie gemischt hat. Wir tun so, als ob wir ein freies Land wären, 60
    dabei sind wir nicht einmal sicher, ob wir uns überhaupt noch gehören. Die Geschichte mit deinem Elsi und deinem Hund gefällt mir nicht, und das mit dem Hintern vom Nachtwächter ist mir unheimlich. Seit wann läßt sich ein Nachtwächter dorthin beißen? Und dann dieser Reichsgraf von Kücksen?
    Gibt es überhaupt so einen Titel? Und Liechtensteiner ist er auch

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