Durcheinandertal
könne nicht mehr, sagte der Polizeiwachtmeister und erhob sich. Er auch nicht mehr, erklärte Stucki und rappelte sich ebenfalls hoch. Wenn man vorher so viel Kaffee-fertig – er schwitze wie ein Kalb. Auch Eggler gab auf. Der Kräuter vorher sei schuld, die Rösti und die Spiegeleier. Sie schauten neidisch auf Heimättler nieder, der immer noch liegestützte, wenn auch langsamer.
Dreiundsiebzig, vierundsiebzig, fünfundsiebzig zählte er.
Aufhören, Heimättler, sagte der Polizeiwachtmeister, aufhören, er habe gewonnen. Sechsundsiebzig, keuchte Heimättler und wollte sich erheben. Kniete vorerst, taumelte dann zur Treppe, setzte sich auf die zweitunterste Stufe, fiel eigentlich mehr hin.
Er müsse verschnaufen, erklärte er. Mit Elsi könne er mit dem besten Willen nicht. Blaser soll’s mit ihr machen. Am Boden lag immer noch Lustenwyler und schnarchte. Elsi solle mit ihm nach oben kommen, sagte der Polizeiwachtmeister zärtlich, ein so rassiges Meitschi habe er noch nie gehabt. Er sei nicht der 70
Stärkste, sagte Elsi, und der Stärkste müsse verschnaufen, und einen so dummen Kerl wie ihn habe sie noch nie gehabt. Der Polizeiwachtmeister Blaser wollte antworten, aber blieb mit offenem Mund stehen: Vor den fünf Gewehren an der Wand und den fünf Revolvern auf dem Fensterbrett und den fünf Mänteln saß Mani, groß wie ein Kalb, und fletschte die Zähne.
Auf dem Küchenboden schnarchte Lustenwyler. Sie solle den Hund hinaustun, befahl der Polizeiwachtmeister. Der Hund knurrte. Bitte, sagte der Polizeiwachtmeister höflich. Sie wollten Mani ja erschießen, sagte Elsi, da sei er nun. Er säße vor ihren Gewehren, und zu ihren Dienstrevolvern kämen sie auch nicht, sagte der Polizeiwachtmeister. Sie fürchteten sich ja nicht vor ihm, sie könnten die Waffen ruhig nehmen, sagte Elsi. Der Polizeiwachtmeister trat einen Schritt vor, Mani bellte kurz, der Polizeiwachtmeister blieb stehen. Wenn sie Mani wegschicke, nähmen sie ihre Waffen und Mäntel und ließen Mani in Frieden. Das kenne sie, sagte Elsi, dann kämen übermorgen noch mehr Polizisten und würden Mani trotzdem erschießen. Gesetz sei Gesetz. Wenn Mani aber sterben müsse, dürfe er wenigstens würdig sterben. Sie gebe ihm jetzt den Befehl anzugreifen, dann verbeiße er sich in den Polizeiwachtmeister, vorne oder hinten, das sei dessen Sache, und die andern könnten Mani erschießen. Ob sie verrückt geworden sei, fragte der Polizeiwachtmeister. Das sei doch dann fast wie in der Schlacht bei Sempach, sagte Elsi. Sie seien keine Helden, sie seien Polizisten, sagte Heimättler, der immer noch auf der Treppe gesessen hatte und jetzt aufstand und stöhnte, er habe sich einen Hexenschuß geholt. Das sei nicht nobel von ihr, grollte der Polizeiwachtmeister. Sie seien auch nicht nobel zu ihr und dem Mani gewesen, antwortete Elsi, sie sollten nun durch die Hintertüre hinausmarschieren.
Lustenwyler schnarchte auf dem Küchenboden weiter. Sie kämen wieder, sagte der Polizeiwachtmeister und ging mit 71
Eggler, Stucki und Heimättler durch die Hintertüre hinaus.
Nicht die Polizei kam wieder, die Armee kam. Der Regierungspräsident war ebenso störrisch wie der Gemeindepräsident und war nicht nur Vorsteher des kantonalen Justiz-und Polizeiwesens, sondern auch Oberst, wie jeder echte Magistrat. Da die Division, zu der sein Regiment gehörte, sich anschickte, ihr Manöver abzuhalten, schlug er dem Oberstdivisionär und dem Stabchef vor, sein Regiment ins Durcheinandertal zu führen, die Leute dort fühlten sich von der Landesverteidigung vernachlässigt. Auf den Einwand des Oberstdivisionärs, es sei kaum wahrscheinlich, daß jemand über den Spitzen Bonder eindringe, entgegnete er, die Russen hätten im Kaukasus Kletterspezialisten, die über den Spitzen Bonder infiltrieren könnten, dann müßte das Durcheinandertal durchkämmt werden, wäre das der Fall, und was der Fall sein könne, müsse geübt werden.
»Mit einem Regiment?« fragte der Stabchef stirnrunzelnd.
Sie saßen im ›Steinbock‹ im Hinterzimmer und waren besoffen. »Und wer sollen die russischen Spione sein? Die müssen doch irgendwie markiert sein.«
»Der Hund des Gemeindepräsidenten«, sagte der Regierungspräsident. »Er muß erschossen werden. Auf Anweisung der Kantonalen Justizdirektion.«
Der Oberstdivisionär schüttelte den Kopf. »Der Hund ist Sache der Polizei.«
»Nicht wenn er ein sowjetrussischer Spion ist«, sagte der Regierungspräsident.
Der Stabchef dachte nach:
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