Durcheinandertal
»Weiß das der Hund?«
»Wir müssen ihn zuerst fragen«, überlegte der Oberstdivisionär. »Wenn der Hund schon einen Spion darstellen soll, kann er diese Rolle nur freiwillig übernehmen.
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Ihn einfach abzuknallen und dann zu behaupten, er sei ein russischer Spion, ist unfair.«
»Ich weiß nicht, ob die Armee gegen einen einheimischen Hund überhaupt vorgehen darf«, gab der Stabchef zu bedenken.
»Er ist ein Spion«, stellte der Regierungspräsident kategorisch fest und zupfte seine Uniform zurecht.
Der Oberstdivisionär zögerte. »Er stellt nur den Spion dar.
Gut, das können wir ja annehmen. Aber erschießen? Im Manöver? Zum Schein, meinetwegen. Aber echt?«
Doch weil der Oberstdivisionär den Regierungspräsidenten nicht verärgern wollte, erlaubte er schließlich Einsatz und Exekution. Der Regierungspräsident täuschte eine Nachtübung vor und rückte mit seinem Regiment ins Tal ein. Das Dorf wurde im Morgengrauen umzingelt, die Dorfausgänge mit Panzern gesperrt. Unter dem Vorwand, es sei Manöver und man übe das Suchen von russischen Spionen und einer habe sich als Mani verkleidet, wurde zuerst das Haus des Gemeindepräsidenten und dessen Stall untersucht, darauf durchwühlten die Soldaten die anderen Häuser, scheuchten die Bewohner aus den Betten und trieben das Vieh aus den Ställen, um jeden Winkel mit schußbereitem Sturmgewehr zu durchstöbern. Stellte ein Bataillon das Dorf auf den Kopf, durchkämmte ein zweites den Wald hinter dem Kurhaus, während das dritte, eine Kette bildend, die Schattenseite hochstieg, mühsam, weil es bald in den Schnee geriet, doch beendeten drei Schüsse aus einer Panzerkanone die Suche. Ein Leutnant hatte mit seinem Armeefeldstecher vom Panzerturm aus auf einem Felszacken des Spitzen Bonders etwas entdeckt.
»Komm her!« Der Panzerschütze kletterte zum Leutnant, der ihm den Armeefeldstecher gab. »Dort.«
Der Panzerschütze suchte, beobachtete. »Ein Hund«, sagte er.
»Der Spion«, sagte der Leutnant.
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»Ich weiß nicht«, sagte der Panzerschütze. »Er bewegt sich nicht.«
»Er verstellt sich nur«, erklärte der Leutnant, »um nicht aufzufallen. Er spielt den Spion verdammtgut.«
»Wenn Sie glauben«, sagte der Panzerschütze.
»Drei Schüsse!« befahl der Leutnant.
Der Panzerschütze gab drei Schüsse ab, worauf, nachdem die Staubwolke sich gelegt hatte, nicht nur Mani verschwunden war, sondern auch der Felszacken, auf dem er gesessen hatte.
»Siehst du«, lachte der Leutnant, »den haben wir erledigt.«
Der Regierungspräsident residierte in seiner Oberstuniform wie ein Landesfürst im ›General Guisan‹.
»Fein«, sagte er, als ihm der Leutnant den Volltreffer meldete, und ließ eine zweite Flasche Zizerser kommen, »dazu haben wir die Armee, und da gibt es noch Kälber, die ihre Abschaffung fordern.«
Das Manöver wurde abgebrochen, und das Eidgenössische Departement des Äußern entschuldigte sich beim Nachbarstaat, die drei Schüsse aus einer schweizerischen Panzerkanone, die einen Felszacken des Spitzen Bonders, der auf dem Hoheitsgebiet des Nachbarstaates angesiedelt sei, in die Luft gesprengt und damit zwei Kletterer auf der von der Schweiz aus nicht einsehbaren Seite des Berges in Lebensgefahr gebracht hätten, seien aus Versehen losgedonnert.
Die Dorfbewohner fühlten sich durch den Einsatz der Armee gedemütigt, vom Kanton im Stich gelassen, wie Unrat, den man dorthin bringt, wo’s stinkt, in den hintersten Winkel der Welt, und dann liegen läßt. Nur dem Gemeindepräsidenten war alles gleichgültig. Es gebe keine Gerechtigkeit im Durcheinandertal, damit müsse sich die Gemeinde abfinden.
Überhaupt war er seit dem Eingriff der Armee umgänglicher 74
geworden, er verschwand zwar jeden Tag im Wald des Spitzen Bonders, aber seine Augen hatten etwas Verschmitztes bekommen. Nur der Witwe Hungerbühler ließ der zu Tode kanonierte Mani, wie sie sich ausdrückte, keine Ruhe. Sie drang bis zum Kreisrichter im übernächsten Dorf vor. Der Gemeindeschreiber putzte sich die Nase. Witwe Hungerbühler erklärte er, Hund sei Hund, und wenn er fürs Vaterland gefallen sei, um so besser, da habe doch so ein Hundeleben einen Sinn gehabt, und was von Kücksen betreffe, so habe dieser die Schadenersatzklage zurückgezogen, sie solle das dem Gemeindepräsidenten melden, das sei erstaunlich für einen Liechtensteiner, da könne der Gemeindepräsident nur jubeln, mehr zu verlangen wäre nur Zwängerei, Rechthaberei.
Gärte im Dorf der
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