Durcheinandertal
welchem Weltall, aber vor sich hindämmernd, verlangte ihn plötzlich nach einer Zigarre, und schon hatte er eine Havanna zwischen den Lippen, falls es eine Havanna war und sich dieses Kingston auf der Erde befand und nicht in einem anderen Weltall, zusammengesetzt aus Antimaterie oder aus noch etwas anderem. Gabriel stand auf und griff aus dem Korb, den der Sohn des Hoteliers heraufgebracht hatte, um den Inhalt ins Schwimmbassin zu kippen, einen Brief, einer der täglichen, zufällig eben den, welchen die Witwe Hungerbühler geschrieben hatte.
Gabriel hielt ihn gegen die Sonne, und schon stand der Brief, obwohl regendurchnäßt, in Brand. Er zündete damit die Zigarre seines Herrn an, der einen Zug machte und die Zigarre vor sich auf die Strohmatte schmiß, wo sie ein Loch brannte, das einzige, was die Polizei, herbeigerufen, weil die Besucher, ohne zu bezahlen, plötzlich verschwunden waren, zu konstatieren vermochte, ein Loch, das immer noch mottete, trotz der Nässe aufloderte, so plötzlich, daß die Polizei, der Hotelier, sein Sohn, die Mulattin und die Indianerin sich gerade noch auf die Straße hinunter zu retten vermochten, bevor das Hotel niederbrannte.
Die Gelegenheit, die Villen aufzuknacken, deren Besitzer sich im ›Haus der Armut‹ von den Strapazen des Reichtums erholten, wäre in diesem Sommer für das Syndikat sensationell gewesen, wenn sich nicht die ändern Syndikate 80
zusammengeschlossen hätten. Eine Arbeitsteilung mit dem neuen Syndikat wäre nicht nur möglich, sondern auch vorteilhaft gewesen, wenn die Lage übersichtlich gewesen wäre. Niemand wußte, wer das neue Syndikat gegründet hatte.
Die alten Bosse schwiegen. Vielleicht wußten sie es selber nicht. Zudem tauchte das Gerücht auf, der Große Alte habe entweder dem unbekannten Gründer des neuen Syndikats sein Syndikat unter der Bedingung verkauft, daß seines von jenem liquidiert werde, weil er sich von den Geschäften zurückziehen und seine Ruhe haben wolle, oder der Große Alte habe dem unbekannten Gründer des neuen Syndikats dessen Syndikat unter der Bedingung abgekauft, es liquidieren zu dürfen, um die Szene allein zu beherrschen, wobei freilich Kenner behaupteten, der unbekannte Gründer des neuen Syndikats sei Jeremiah Belial. Weil aber niemand wußte, wie Jeremiah Belial zum Großen Alten stand, ob er mit ihm identisch, sein Unterführer, seine Konkurrenz oder gar sein Chef war, blieben nichts als Spekulationen übrig, die jedoch die Ungewißheit unter den Mitgliedern beider Syndikate derart schürten, daß ein offener Krieg ausbrach. Niemand wußte, wer wen aufgekauft und wer wen zu liquidieren hatte. In Manhattan, in Chicago, in San Francisco und in Los Angeles, aber auch in Mexico City, Rio, São Paulo und Hongkong usw., häuften sich die Opfer.
Bald in diesem, bald in jenem Coiffeurladen sank man aus den Sesseln. Verdutzt standen die Barbiere mit Pinsel und Rasiermesser vor halbrasierten Leichen. Bald in diesem, bald in jenem Luxusbordell fanden der Etagenkellner oder das Zimmermädchen, brachten sie das Frühstück, Kaffee oder Tee, warme Croissants oder Toast, Schinken mit Spiegeleiern oder Ei im Glas, frischen Orangensaft und Birchermüsli, das gemischte, aber manchmal auch männliche oder weibliche Pärchen chirurgisch tadellos zerlegt vor, die Mäuler, um die anderen Kunden des Etablissements nicht zu inkommodieren, 81
mit Leukoplast verklebt, und in einem Penthouse über dem Hudson wurde die Leiche eines verkohlten mickrigen Mannes in einem Kamin gefunden, einen Joint zwischen den Lippen.
Michael schloß die Klinik in Ascona und richtete für den Winter im Kurhaus ein Notspital ein mit der Waschküche als Operationssaal. Sie nannten ihn Doc. Ungutes lag in der Luft, alle mißtrauten einander. Ende Oktober trafen Marihuana-Joe und Big-Jimmy ein. Ihre Luxusappartements waren besetzt, war doch schon das ganze Syndikat versammelt. Sie wurden feindlich empfangen, alle fürchteten sie. Die beiden mußten mit einem Doppelzimmer vorliebnehmen. In Sing-Sing hätte er eine Einzelzelle zur Verfügung gehabt, meinte Big-Jimmy.
Aber die beiden lagen nur eine Nacht beieinander, schon am nächsten Tag lag Marihuana-Joe in der Waschküche. Für einige Wochen. Er fügte sich widerwillig. Mehrere Operationen seien nötig, ihn neu zu gestalten, sein Original-gesicht sei für das Syndikat ein zu großes Risiko, hatte ihm Doc erklärt. Die andern waren froh, vor ihm in Sicherheit zu sein, die Leiche im Penthouse über dem
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