Durcheinandertal
und jene Züge auf einander kr achten.
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Daß ihm jetzt im hohen Alter noch das Malheur mit der ominösen Society for Morality passieren mußte, von der man nicht wußte, war sie Swiss oder Boston, war ihm genierlich. Er bat einen Juristen aus seinem alten Departement ihm zu helfen.
Nachdem dieser die Statuten gelesen hatte, klang sein Urteil nicht ermutigend. Die Statuten waren derart raffiniert abgefaßt, daß der Vorstand, in der Meinung, er unterschreibe nur die Erklärung, er sei ein Ehrenkomitee, die Vereinigung Swiss Society for Morality selber gegründet und sich zum Vorstand erklärt hatte. So eine Dummheit hätte eigentlich niemandem unterlaufen dürfen. Ihm sei sie unterlaufen, seufzte der Altbundesrat. Außerdem habe der Vorstand eine Woche später ein Kurhaus gekauft, fügte der Jurist bei, durch einen Rechtsanwalt Habegger aus der Kantonshauptstadt. Wozu die Society for Morality ein Kurhaus brauche, wunderte sich der Altbundesrat. Die Organisation ›Freude durch Armut‹ brauche es im Sommer, erläuterte der Jurist. Der Altbundesrat lachte, ein kurliger Name für einen Kuraufenthalt für Mittellose. Für Millionäre, verbesserte ihn der Jurist, und im Winter habe es ein Reichsgraf von Kücksen gemietet, ein Liechtensteiner, der seine Millionen damit verdiene, daß er gefälschte Bilder verkaufe. Der sitze wohl im Gefängnis, meinte der Altbundesrat. Er verkaufe Bilder, die er für gefälscht erkläre, die aber die Kundschaft für echt halte, führte der Jurist aus.
Dafür werde ›Freude durch Armut‹ pleite gegangen sein, meinte der Altbundesrat, welcher Millionär gehe schon in ein Kurhaus, um arm zu leben und noch Freude dran zu haben. Nur die Allerreichsten, klärte ihn der Jurist auf, das Kurhaus floriere wie noch nie. Der Vereinigung müsse ein toller Gewinn zugeflossen sein. Davon wisse er nichts, sagte der Altbundesrat. Nach dem Gespräch konnte er die ganze Nacht nicht schlafen. Er war fünfundneunzig und seit über zwanzig Jahren Witwer. Er weigerte sich, in ein Altersheim zu gehen.
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Eine siebzigjährige Italienerin machte ihm die Haushaltung und schimpfte jeden Tag mit ihm, je nachdem, er esse zu viel, zu wenig, zu unregelmäßig, wenn er so ungesund lebe, werde er nicht alt usw. Während sie schimpfte, legte er seinen Hörapparat weg und sah ihr ruhig zu, bis sie ausgeschimpft hatte. Aber diesen Morgen fuhr er sie zum ersten Male an, sie solle das Maul halten, weinend servierte sie das Frühstück. Er ließ es stehen, schlurfte zum Schreibtisch und schrieb an den Regierungspräsidenten des Kantons. Die Antwort war günstig, nicht nur moralisch, auch finanziell dürfe sich der Kanton glücklich schätzen, der Swiss Society for Morality eine Heimstätte bieten zu können, auf dem Konto der Vereinigung lägen anderthalb Millionen, alles sei in Ordnung, sogar das Gestürm mit dem Gemeindepräsidenten im Durcheinandertal sei beigelegt. Das hätte der Regierungspräsident nicht schreiben sollen. Die Swiss Society for Morality hatte den Altbundesrat mißtrauisch gemacht. Ein zweites Mal sollte sie ihn nicht hineinlegen. Etwas stimmte nicht. Was war das für ein Gestürm gewesen? Der Altbundesrat ließ den Gemeindepräsidenten aus dem Durcheinandertal kommen und bezahlte ihm die Reise.
Der Altbundesrat, ein kleiner zarter Mann mit einer rosigen Haut wie ein Mädchen, saß in seinem Lehnstuhl und nahm sein abendliches Fußbad, heißes Wasser mit Essig, in einer Lücke im Büchergestell saß ein großer schwarzer Kater, und vor dem Altbundesrat saß der Gemeindepräsident mit seinem riesigen Schnauz. Ob er tubaken dürfe, fragte der Gemeindepräsident.
Ob er eine Havanna wolle, fragte der Altbundesrat, er habe einmal eine Schachtel Zigarren vom kubanischen Gesandten erhalten. Er rauche lieber seine Pfeife, sagte der Gemeindepräsident, zog seine Pfeife heraus und zündete sie an.
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Darauf forderte ihn der Altbundesrat auf, erst einmal zu erzählen. Der Gemeindepräsident erzählte, und als er erzählt hatte, sagte der Altbundesrat, er glaube ihm. Da sei er der einzige, meinte der Gemeindepräsident.
»Kunststück«, sagte der Altbundesrat, »Ihr liebt eben Euren Hund mehr als Eure Tochter Elsi.«
»Herr Altbundesrat«, erklärte der Gemeindepräsident, »mit meinem Hund Mani konnte ich reden, mit Elsi und auch mit Mädi, meiner verstorbenen Frau, nicht. Weiber hören einem nicht zu. Aber Mani hat mir immer zugehört.«
Was er denn mit Mani besprochen habe, wollte der Altbundesrat
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