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Durchgebrannt - Roman

Durchgebrannt - Roman

Titel: Durchgebrannt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristina Dunker
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ja jetzt noch grundlos an rumzugibbeln, wenn ich an ihnen vorbeigehe, dabei sind die in Sarahs Jahrgang und für mich damit praktisch alte Schachteln. Wenn wir uns gezofft haben, dann meist wegen ihres Zimmers. Aus Spaß bin ich da, ohne zu fragen, oft rein, wenn sie nicht da war, und dann hat sie mir jedes Mal eine geklatscht. Was vielleicht auch berechtigt war, denn ich habe in ihrem Tagebuch gelesen und das mit Herzchen verzierte Foto von meinem Trainer mit Vampirzähnen und Teufelshörnern verunstaltet.
    Das Beste an ihr als gesunder »Großer« war, dass sie mir zuverlässig bei Problemen half. Englisch oder Mathe? »Kein Thema, das üben wir.« Stress mit dem Lehrer? »Keine Panik, ich red mit dem.« Oma hat Zigaretten in meiner Jacke entdeckt und will's Mama petzen? »Ich sag ihr, die wären für mich gewesen.«
    Als unsere Eltern vor drei Jahren kurz vor der Trennung standen und Papa ein paar Nächte nicht nach Hause kam, durfte ich bei ihr im Bett schlafen. Damals war ich elf und Sarah kerngesund.
    Vor zwei Wochen, als sich entschieden hat, dass Sarah die Jugendfreizeit sausen lassen muss, habe ichsie gefragt, ob es ihr etwas ausmacht, wenn ich alleine mitfahre und also an ihrem Geburtstag mittags abhaue. Damals hat sie spontan den Kopf geschüttelt. »Quatsch«, hat sie gesagt, »du musst mir doch nachher alles erzählen. Außerdem will ich nicht, dass du hier versauerst.«
    Trotzdem haben meine Eltern gesagt, ich müsste bleiben und dürfte nicht weg.
    Vorgestern habe ich Sarah in ihrem Beisein noch mal gefragt. Diesmal hat sie mir keine Antwort gegeben. Sie hat so getan, als würde sie es nicht hören. Es stimmt schon, sie ist schwach und seit ein paar Monaten schwerhörig, eine Nebenwirkung der Chemotherapie. Aber ich bin sicher, die Frage hat sie gehört. Das war das erste Mal, dass sie mich richtig im Stich gelassen hat.
    Ich soll also da sein an diesem Wochenende. Ich soll mir meinen blöden Cousin reinziehen, der mit einem Strauß heliumgefüllter Luftballons auf dem Krankenhausparkplatz steht und meine Verwandtschaft auf unser soeben einbiegendes Auto hinweist. Ich soll mich von all diesen Leuten drücken lassen und mir anhören, wie »schrecklich« alles ist. Ich soll in Tante Margaretes Parfümwolken Atemnot kriegen und mit Onkel Thomas' Schweißfilm in Berührung kommen. Ich soll mich von Tante Katrin zum hundertsten Mal fragen lassen, was ich mal werden will. Das erste Mal hat sie mich das zu meiner Einschulung gefragt, was anderes fällt ihr einfach nicht ein. Ich sollhinter der aufgeregt plappernden Gruppe schweigend über den sonnenbeschienenen Parkplatz trotten, vorbei an den Rauchern mit ihren fahrbaren Infusionsständern, hinein durch die Drehtürenschleuse ins klimatisierte, milchig neonlichtige Krankenhausinnere. Ich soll diesen Geruch einatmen, das leise Quietschen der Sohlen auf dem Gummiboden hören, einer Schwester mit einem Wagen Frühstückstabletts ausweichen. Ich kenne das alles, ich bin oft genug hier. Aber ich soll auch heute mitleiden.
    Für meine Eltern ist es wichtig, dass die Familie komplett ist. Das gehört sich so. Außerdem haben sie für meinen kleinen Urlaub schlicht kein Geld mehr. Wir haben einen Kredit aufgenommen und ein Reihenhaus gekauft, damit Sarah im Rollstuhl im eigenen Garten sitzen kann, wir haben ihr alle erdenklichen Wünsche erfüllt -- hatten sogar einen Fußballstar am Krankenbett -- und viele Hundert Euro für alternative Therapien und Heilmittel bezahlt, sodass für mich die dreitägige Jugendfreizeit für schlappe achtzig Euro nicht mehr drin ist.
    Aber ich wette, sie laden die Verwandten heute Abend alle in die Pizzeria ein. Will Thomas dann einen Nachtisch bestellen, Tiramisu mit doppelt Sahne, bezahlen sie das auch noch, während sie bei mir schon eine Flappe ziehen, wenn ich mir mal ein Wassereis kaufe.
    Die Masse meiner Familie schwappt in den Aufzug. Nur Oma Gabi wartet auf den nächsten. Ich will rauszu ihr, komme aber nicht durch. Denn obwohl der Aufzug groß ist, ist er mit einer Krankenschwester, die ein leeres Bett schiebt, acht Familienmitgliedern, einem Haufen Geschenke und achtzehn Luftballons ziemlich überfüllt.
    Oma Hilde ergreift meine Hand. Ihre zittert und rüttelt meine leicht hin und her. »Wie gefallen dir die Ballons? Ist eine gute Idee, oder?«
    »Weiß nicht. Erinnern mich irgendwie an 'ne Beerdigung«, sage ich und fange mir den vernichtenden Blick meines Vaters ein.
    Dabei hat er mir vorgestern beim Joggen noch gesagt,

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