Durchgebrannt - Roman
dass Sarah mit ihm über ihre Beerdigung sprechen wollte. Er hat versucht, das Thema abzuwürgen, hat ihr versichert, dass sie's schafft und wieder gesund wird. Er hat es auch mir versichert, ihre neuen Blutwerte aufgezählt und die Überlebensstatistik, lauter Details, die er sonst nur mit meiner Mutter durchgeht. Ich bin mir nicht sicher, ob ihm in dem Moment klar war, dass er mit mir redet. Er ist auch immer schneller gerannt, voll ungesund und risikoreich, denn nicht mal vor der Überquerung der Landstraße hat er gestoppt. Ist einfach rüber, während die Autos hupten und Notbremsungen hinlegten.
3
Sarah ist wach und freut sich höflich über die Geschenke.
Die Krankenschwester, die zweimal vorbeischaut und ihre Schläuche und Apparate kontrolliert, sieht, wie sich alle um ihr Bett drängen, und schimpft sofort über den bakterienintensiven Menschenauflauf: »Küssen und umarmen ist verboten, sagen Sie das Ihren Verwandten! Und wer erkältet ist, muss draußen bleiben.«
Mein Vater nickt mit zerknirschtem Gesichtsausdruck und sagt wie zur Entschuldigung, dass Sarah doch heute Geburtstag habe. »Da kann man doch mal eine Ausnahme machen.«
»Keime machen keine Ausnahmen«, kanzelt die Schwester Papa ab, »das müssten Sie eigentlich mittlerweile wissen.«
In der Hoffnung, mich unsichtbar zu machen, drücke ich mich stumm hinter Oma Hildes Rücken an die Wand, sehe zu, wie Sarah einen Schlafanzug in feschem Marienkäfer-Look auspackt, einen bescheuerten Bademantel bestaunt und sich ein mattes Lächelnüber die Ballons abringt. Nur Oma Gabis Geschenk bringt kurz ein echtes Leuchten in ihre Augen: ein Windspiel, das an der Balkontür aufgehängt wird und ein leises Klingeln erzeugt.
Mein Päckchen gebe ich ihr noch nicht. Je länger ich nämlich der Parade zuschaue, desto sicherer werde ich, dass es wegen meines Geschenks Ärger geben wird. Zwar handelt es sich um genau das T-Shirt , das Sarah vor ein paar Wochen in einer Musikzeitschrift entdeckt hat und unbedingt haben wollte. Ich bin locker zehn Stunden durchs Internet gesurft, um genau dieses Teil bestellen zu können, aber es wird die Erwachsenen alles andere als begeistern. Und was noch viel schlimmer ist: Ich weiß gar nicht, ob Sarah es immer noch mögen wird.
Mir fallen wieder ihre letzten SMS ein, ihre Unlust, über spannende Filme zu reden, ihre Empfindlichkeit manchmal und ihre Angst vor allem Schön-Schaurigen. Nicht nur mein Vater hat neuerdings Albträume, Sarah hat sie auch.
»Wo ist denn der Flo?«
Gnadenlos schiebt mich Oma Hilde nach vorne. So stehe ich mit dem flachen Päckchen vor Sarahs Bett und kriege kein Wort heraus. Sarahs Zehennägel sind abwechselnd mintgrün und rosa lackiert, das muss Anna gemacht haben, ihre beste Freundin. Würden wir heute mitfahren, hätten Sarah und Anna ihr Zelt bestimmt neben unserem aufgebaut.
Die Zehen vor mir fangen an zu wackeln. Sarahshelle Stimme sagt: »Hi, Flo! Hast du mir auch was mitgebracht?«
Sie streckt die Hand aus, nur ein Stückchen. Die Hand hängt auf halber Strecke, aber ich gebe das Päckchen nicht her. Das T-Shirt zeigt einen grinsenden Totenkopf, der mit Blumen umkränzt ist. In geschwungener Schrift steht darunter:
Love hard, die young
.
Das kann ich ihr unmöglich geben. Nicht jetzt, da sie so schlecht drauf ist und ihr runder, haarloser Kopf mit den tief liegenden Riesenaugen selbst an einen Totenschädel erinnert. Das, was mal volle, geschminkte Lippen waren, ist schrumplig und entzündet, und wo mal das Piercing steckte, kommt jetzt ein Schlauch aus der Nase. Sarah hasst es, wenn man sie anstarrt, und ich vermeide es auch meistens, aber jetzt geht es nicht anders. Ich starre sie an, während die Sekunden verstreichen. Sich SMS zu schicken ist bedeutend einfacher, als sich gegenüberzustehen.
»Florian, wir warten«, sagt mein Vater.
»Hat der was genommen? Der sieht so bekifft aus.« Daniel grinst.
»Der ist nur nicht ausgeschlafen.« An der Stimme meines Vaters höre ich, dass er sich über meinen Cousin ärgert. Über mich aber auch, denn er schubst mich. »Steh nicht rum wie 'n Stockfisch, gib ihr dein Geschenk.«
Mir bleibt nichts anderes übrig. Gleich werden alle das Bild auf dem T-Shirt sehen. Meine Mutter wirdsich erschrecken. Mein Vater wird wieder sagen, dass ich »kontraproduktiv« bin. Meine Omas und Tanten werden mich in der Luft zerreißen. Ich bin dann für sie derjenige, der Sarah die Hoffnung nimmt und damit ihre Heilungschancen reduziert. So haben sie
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