Durst: Thriller (German Edition)
Blick zu.
» Wir lassen sie also weitermachen, wie besprochen? «
Der Drache nickte. » Ja, so lange wie möglich. Der Bohrer soll die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Sie sollen denken, dass sich unsere Aktivitäten auf die Bohrung konzentrieren. «
Agata nickte.
» Heute Abend möchte ich bereits im Flugzeug sitzen « , fügte der Drache noch hinzu.
Leo saß vorne und sagte keinen Ton. Den Jeep fuhr Rodrigo, ein Mann unbestimmten Alters mit tiefschwarzen Augen, der die Kälte gar nicht zu bemerken schien. Er trug ein weinrotes Hemd und khakifarbene Bermudashorts. Den ersten Streckenabschnitt durch flaches Gelände mit niedriger Vegetation legten sie schweigend zurück. Leo beobachtete aufmerksam die Landschaft. Agata und Sebastian saßen hinten, hatten die Augen halb geschlossen und wechselten nur gelegentlich einen Blick.
» Sind Sie zum ersten Mal hier? « Rodrigos Stimme klang fast wie die einer Frau.
» Ja. Es ist sehr schön hier « , antwortete Agata.
» Sie werden sich noch wundern. « Rodrigo kicherte. » Leider ist ein Großteil der Fazenda ziemlich verwahrlost. «
» Sie ist sehr groß « , sagte Agata.
» Hier ist alles sehr groß. « Wieder kicherte Rodrigo. Er war offenbar ein fröhlicher Mensch.
» Paraná bedeutet › Meer ‹ auf Tupí. Die Eingeborenen dachten, der Paraná sei das Meer und kein Fluss. Weil er so groß ist. «
Niemand sagte etwas.
» Hier gibt es für alles ein Tupí -Wort « , fing Rodrigo wieder an.
» Sprechen Sie Tupí? «
» Nur ein bisschen. Meine Eltern– Gott möge sie schützen– konnten es perfekt. Mein Vater war ein echter Mateiro, ein Mann des Waldes. Hier war das Gebiet der Guaraní -Indianer. Es waren die Jesuiten, die Tupí zur allgemeinen Sprache bestimmt haben. «
Der Drache betrachtete ihn, während Leo aus dem Fenster schaute. Agata übersetzte aus dem Portugiesischen ins Französische, aber der Drache verstand ohnehin alles.
» Ohne das Tupí « , fuhr Rodrigo fort, » würde unsere Sprache gar nicht existieren. Brasilianisch ist ja nicht das Portugiesisch aus Portugal. Die Namen stammen praktisch alle aus dem Tupí. « Er kicherte.
In den nächsten fünf Minuten herrschte Stille. Die Landschaft veränderte sich rasch. Sie hatten die Ebene hinter sich gelassen und fuhren nun bergauf durch einen Wald.
» Auch der Name der Fazenda stammt aus dem Tupí - Guaraní « , fing Rodrigo wieder an.
» Aha? «
» Ja. Yaraibi ist eine Verbindung der beiden Wörter yara und ibí. Yara ist die Göttin, die am Grunde der Flüsse wohnt, eine wunderschöne Sirene mit langem, wallendem Haar. Ibí hingegen bedeutet › Erde ‹ , für manche allerdings auch › Baum ‹ . Yaraibi ist das Land der Yara, das Land der Göttin der Flüsse. «
Jetzt war der Drache plötzlich hellwach.
» Es dreht sich also alles um das Wasser, wenn ich recht verstehe « , sagte Agata.
Rodrigo zog die Miene, die stets seinem Kichern vorausging, kicherte diesmal allerdings nicht. » Kennen Sie irgendetwas, das ohne Wasser existieren kann? Wasser ist ein Geschenk Gottes. Dieses Land ist reich an Wasser, deshalb ist es ein gesegnetes Land, obwohl seine Geschichte mit Blut geschrieben ist. « Plötzlich war er ernst und schien sich ans Lenkrad zu klammern, während er den Jeep mit der Leichtigkeit eines galoppierenden Pferds den Hügel hinauflenkte. » Dieses Land hat viel Blut gesehen « , fuhr er fort. » Aber Yara verteidigt es… Kennen Sie die Legende von der Göttin Yara? «
Agata verneinte.
Rodrigo grinste vor sich hin. » Yara lebt in den Flüssen. Sie ist so schön, dass die Männer sie bis auf den Grund verfolgen. Wenn sie aber erst einmal unten sind, kommen sie nicht mehr hoch. Manchen gelingt es zwar, aber wenn sie oben ankommen, sind sie nicht mehr dieselben. Yaras Zauber hat sie verrückt gemacht. So verteidigt Yara sich und ihr Land… «
» Das ähnelt ja dem Mythos von Narziss « , sagte Agata und warf dem Drachen einen Blick zu. Der starrte in die Landschaft.
» Narziss? « Rodrigo schüttelte den Kopf. » Keine Ahnung, wer das sein soll, nie gehört. Da wären wir, meine Herrschaften. « Er kicherte und stellte den Motor ab. Agata gefiel Sebastians Miene gar nicht. Der Drache war schweigsam und ernst.
Rodrigo erklärte Leo den Weg, der zum Caita führte, zum Felsenauge. Einer volkstümlichen Legende zufolge öffnete sich dort ein Spalt, durch welchen das Wasser des Guaraní-Aquifers emporsprudelte. Andersherum gelangte durch diesen Spalt der Regen ins
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