Dustlands - Die Entführung
Rindenbeutel hat sie neben sich in den Matsch geworfen.
Komm schon!, ruf ich.
Sie schüttelt den Kopf. Ich fluch und geh zu ihr zurück. Als ich bei ihr bin, frag ich: Was?
Wir dürfen nicht weggehen, sagt sie.
Sie reckt ihr stures kleines spitzes Kinn vor. O nein, diesen Blick kenn ich. Sie ist auf Krawall gebürstet.
Warum nicht?
Wir müssen hierbleiben, sagt sie. Wenn Lugh zurückkommt und wir sind nicht hier, dann macht er sich Sorgen.
Er kommt nicht zurück, sag ich.
Er kann bestimmt fliehen, sagt sie, bestimmt. Und dann kommt er zurück, und wir sind nicht mehr hier, und dann weiß er nicht, wo er anfangen soll, nach uns zu suchen und so.
Hör zu, sag ich. Du hast sie nicht gesehen. Ich aber. Vier Männer haben ihn mitgenommen. Haben ihm Hände und Füße gefesselt und ihn auf ein Pferd gebunden. Er kann nicht ohne Hilfe fliehen. Deshalb geh ich ja hinterher. Allein. Ich hab ihm versprochen, dass ich ihn find, und das werd ich auch.
Wenn du ihn gefunden hast, sagt sie, kommen wir wieder hierher zurück. Oder?
Ich seh ihr an, dass sie weiß, wir kommen niemals hierher zurück. Aber sie will mich zwingen, es auszusprechen.
Hier kann man nicht leben, sag ich. Das weißt du. Wir suchen uns ein neues Zuhause. Ein besseres. Lugh und ich und … du.
Jetzt hat sie Tränen in den Augen.
Aber wir leben doch hier, sagt sie. Das ist unser Zuhause.
Ich schüttel den Kopf. Jetzt nicht mehr. Es geht nicht mehr.
Nach einer Weile sagt sie: Saba?
Was?
Ich hab kein gutes Gefühl dabei. Ich finde, wir dürfen nicht weggehen. Ich hab … Angst.
Ich will ihr schon sagen, sie soll nicht so albern sein. Aber ich brems mich, bevor ich es aussprech. Ich bin jetzt für sie verantwortlich, und ich will nicht, dass sie jedes Mal auf stur schaltet, wenn ich ihr irgendwas sag. Ich überleg, was Lugh tun würd, wenn er hier wär. Wahrscheinlich würd er sie necken, ihr schmeicheln.
Wie meinst du das, du hast Angst? Ich tu überrascht. Wie kannst du Angst haben, wo ich mich um dich kümmer?
Sie lächelt zaghaft. Hast du denn keine Angst?
Sie sagt es fast so, als ob ich sie einschüchter.
Ich?, sag ich. Nee. Ich hab vor nichts Angst. Ich hab vor niemand Angst.
Echt?, fragt sie.
Echt, sag ich. Ich zöger. Dann streck ich die Hand aus. Sie gibt mir ihre. Na komm, sag ich. Gehen wir.
W ir sind erst eine gute Meile gegangen, da stoßen wir auf Hufabdrücke im getrockneten Schlamm. Fünf Pferde. Die Reiter sind mit Lugh hier lang gekommen.
Ich knie mich hin und fahr mit dem Finger den Rand von einem Abdruck nach. Mir ist ganz schwindelig vor Erleichterung. Ich hab Angst gehabt, sie würden vom Silverlake aus querfeldein reiten. Dann würd ich viel Zeit verlieren. Müsst erst Emmi nach Crosscreek bringen und danach zum Silverlake zurückwandern, um ihre Spur aufzunehmen.
Na komm, sag ich zu Em. Wir müssen uns beeilen.
Ich schon sie kein bisschen. Ich geh schnell, mit ruckartigen Schritten. Bloß keine Zeit verlieren.
Sie muss traben, um mitzuhalten. Der Rindenbeutel schlägt ihr gegen den Rücken. Nero fliegt voraus.
Lugh war hier. Er ist hier vorbeigekommen.
Lugh geht vor, immer, und ich komm dahinter. Ich werd ihn einholen. Ich hol ihn immer ein. Immer.
Ich find dich. Egal wo sie dich hinbringen, ich schwör, ich find dich.
Ich geh schneller.
N achmittag. Zweiter Tag unterwegs.
Ich muss mich zwingen, nicht laut zu schreien. Nicht so schnell zu gehen. Nicht vorauszulaufen.
Emmi.
Wir könnten kaum noch langsamer gehen, und das ist nur ihre Schuld.
Am liebsten würd ich sie am Wegesrand sitzen lassen und vergessen, dass sie je geboren worden ist. Ich wünscht, der Erdboden würd sie verschlucken. Aber das kann ich mir nicht wünschen. Das darf ich mir nicht wünschen. Das ist zu gemein. Sie ist mein eigen Fleisch und Blut, genau wie Lugh.
Nicht genau wie Lugh.
Keiner ist genau wie Lugh.
Niemals genau wie Lugh.
Wir lassen ein kleines Wäldchen mit fast toten Kiefern hinter uns.
Hier biegen die Hufabdrücke vom Pfad ab. Ab jetzt verlaufen sie nach Norden.
Warte hier, sag ich zu Emmi.
Ich geh den Hufabdrücken nach, bis die brettharte Erde zu kümmerlichem Grasland wird. Die Hufabdrücke verlieren sich. Ich schirm die Augen ab. Guck in die Ferne. Das Grasland ist bloß ein schmaler Streifen. Dahinter kann ich nur offenes Land sehen. Flaches Land. Wüste. Ich bin noch nie hier gewesen, aber ich weiß, was das ist.
Das Sandmeer.
Eine scheußliche, tödlich trockene Gegend, nur Wind und Wanderdünen. Eine
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