Dustlands - Die Entführung
runter. Gnadenlos. Grausam. Bringt mich auf grausame Gedanken. Zum Beispiel:
Warum haben sie nicht Emmi getötet statt Pa?
Warum haben sie nicht Emmi mitgenommen statt Lugh?
Emmi ist zu nichts zu gebrauchen. Ist sie nie gewesen. Wird sie nie sein.
Sie hält mich bloß auf. Wegen ihr verlier ich Zeit.
Mein Verstand flüstert. Mein Herz flüstert. Meine Knochen flüstern.
Lass sie zurück … lass sie einfach zurück … geh weg und lass sie zurück. Soll sie doch … sterben? Tu’s einfach … sie ist unwichtig … wichtig ist nur Lugh … also geh zurück zum Steinhaufen … überquer das Sandmeer … da sind sie lang … in ein paar Stunden könntest du da sein, wenn du schnell gehst …
Ich geb mir einen Ruck. Verschließ die Ohren vor dem Geflüster. Ich kann Emmi nicht zurücklassen. Ich muss sie nach Crosscreek zu Mercy bringen.
Lugh hat gesagt, ich soll sie in Sicherheit bringen. Wenn ich ihn find, muss ich ihm sagen können, dass es ihr gutgeht. Dass ich mich genauso gut um sie gekümmert hab wie er.
Ich zieh die Schlepptrage und frag mich, wo er ist. Ob er Angst hat. Ob er mich so vermisst wie ich ihn.
Ich vermiss ihn so schlimm, dass mir der ganze Körper wehtut. Es ist wie … eine Leere. Eine Leere neben mir, in mir und um mich rum, überall da, wo Lugh sonst ist. Ich bin noch nie ohne ihn gewesen. Nicht für einen einzigen Augenblick seit dem Tag, an dem wir geboren worden sind. Schon vorher nicht.
Wenn die ihm was tun, wenn die ihm wehtun, dann bring ich sie um. Auch wenn sie ihm nichts tun, bring ich sie vielleicht trotzdem um, zur Strafe dafür, dass sie ihn mitgenommen haben.
Meine Schultern tun weh. In meinen Händen pocht es. Die Sonne brennt auf uns runter. Ich beiß die Zähne zusammen und zwing mich, schneller zu gehen.
Warum weint Emmi nicht? Warum wimmert sie nicht?
Ich wünscht, sie würd heulen. Dann könnt ich sie anbrüllen.
Dann könnt ich sie hassen.
Ich schieb die fiesen Gedanken weg, tief in mich rein in die finstersten Ecken in mir, wo keiner sie sehen kann.
Und Emmi weint nicht. Nicht ein einziges Mal.
F ünfter Tag. Mitternacht.
Wir liegen in einer Senke neben dem Pfad auf der Erde und haben uns in unsere Hundslederumhänge gewickelt. Emmi hat sich an einer Seite in mich reingekuschelt. Nero schmiegt sich an die andere Seite und schläft tief und fest, den Kopf unter den Flügel gesteckt.
Es ist eine warme Frühlingsnacht. Ein Lüftchen lässt die Haare auf meiner Stirn fliegen. In der Ferne heult ein Wolfshund, und ein anderer antwortet. Sie sind weit weg. Kein Grund zur Sorge.
Ich starr zum Himmel hoch. Zu den Tausenden und Millionen von Sternen, die sich da drängen. Ich such nach dem Großen Bären. Dann nach dem Kleinen Bären. Nach dem Drachen. Dem Polarstern.
Ich denk an Pa. An das, was er uns gesagt hat. Dass unser Schicksal, unsere Lebensgeschichten schon in den Sternen stehen. Und dass er weiß, wie man sie deutet.
Und dann denk ich an das, was Lugh gesagt hat.
Hast du’s denn immer noch nicht kapiert? Das ist alles nur in seinem Kopf. Das bildet er sich ein. Da steht nichts in den Sternen. Es gibt keinen großen Plan. Das Leben geht einfach so weiter. Unser Leben geht einfach immer so weiter hier an diesem gottverlassenen Ort. Mehr ist nicht. Bis wir irgendwann sterben.
Ich denk daran, wie Pa seine Stöckchenkreise ausgelegt hat und an die Beschwörungen und Gesänge, mit denen er versucht hat, es regnen zu lassen. Daran, dass er gesagt hat, er hätt es in den Sternen gesehen und die hätten gesagt, der Regen würd kommen, und dann ist er nicht gekommen. Jedenfalls erst als Pa tot gewesen ist. Erst als es zu spät gewesen ist. Also hat Pa die Sterne entweder falsch gedeutet, oder die Sterne haben ihn angelogen.
Oder vielleicht ist es ganz anders: Vielleicht hat Pa die Sterne nicht deuten können, weil es da nichts zu deuten gibt. Und die ganzen Beschwörungen und Gesänge haben einfach gezeigt, wie sehr er sich Regen gewünscht hat. So verzweifelt, dass er einfach alles versucht hat, egal wie verrückt.
Früher hab ich gern in den Himmel geguckt. Hab mir gern ausgemalt, dass Pa mir eines Tages beibringt, zu deuten, was die Sterne zu sagen haben. Jetzt sehen sie einfach nur kalt aus und weit weg.
Ich zitter.
Bestimmt hat Lugh recht. Hat er immer.
Da steht nichts in den Sternen.
Das sind nur Lichter am Himmel. Die einem im Dunkeln den Weg zeigen.
A ber.
Aber.
Pa hat von den Männern gewusst. Er hat gewusst, dass sie Lugh holen
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