Dustlands - Die Entführung
gegenüber und nimmt seine andere Hand.
Er ist immer noch warm, flüstert sie. Nach einer Weile sagt sie: Du musst jetzt die Worte sagen.
Sie hat recht. Man sagt immer ein paar besondere Worte, um einen Toten auf den Weg zu schicken.
Pa hat welche für Ma gesagt, bevor er damals ihren Scheiterhaufen angezündet hat. Aber ich kann mich nicht daran erinnern. Ich war wohl zu klein, um richtig drauf zu achten. Jetzt ist er an der Reihe, dass jemand was für ihn sagt, aber mir will einfach nichts einfallen.
Na los, sagt Emmi.
Dann: Tut mir leid, Pa, sag ich.
Das hab ich gar nicht sagen wollen, aber mein Mund hat sich bewegt, und das sind die Worte, die rausgekommen sind. Aber ich merk, dass mir so einiges leidtut. Wirklich.
Tut mir leid, dass du tot bist, sag ich. Tut mir leid, dass du es hier so schwer gehabt hast, besonders in der letzten Zeit. Vor allem tut mir leid, dass du Ma verloren hast, wo du sie doch so geliebt hast. Ich weiß, du hast nicht viel Freude gehabt, seit sie nicht mehr da ist. Tja … jetzt bist du bestimmt glücklich. Ihr seid wieder zusammen. Zwei Sterne, nebeneinander.
Ich mach eine Pause. Dann: Ich geh Lugh hinterher. Ich hol ihn zurück, Pa. Ich geb keine Ruhe, bis ich ihn find. Versprochen.
Ich guck Em an. Willst du … ihn zum Abschied küssen?
Sie küsst ihn auf die Wange. Dann schlag ich Funken mit meinem Feuerstein und zünd die Wollstreifen um Pa an.
Willem vom Silverlake, sag ich, ich lass deine Seele frei, damit sie nach Hause zu den Sternen zurückkehren kann.
Die ersten Flammen züngeln am Tisch.
Wiedersehen, Pa, flüstert Emmi. Ich werd dich vermissen.
Wir stehen auf, und ich geb ihr die Rindenbeutel.
Geh schon mal nach draußen, sag ich.
Ich zünd die Wollstreifen in den Wänden an. Warte, bis die Reifen Feuer fangen, bis die Flammen anfangen, an den Wänden langzulaufen.
Wiedersehen, Pa, sag ich.
Dann geh ich raus und mach die Tür hinter mir zu.
D er Regen hört auf. Ein heißer Südwind weht. Die Nachmittagssonne brennt auf uns runter.
Nero hängt über uns in der Luft und segelt in trägen Kreisen auf dem Aufwind. Er ist vor dem Sturm geflohen und hat sich in Sicherheit gebracht, genau wie Lugh gesagt hat. Wenn wir das nur auch geschafft hätten.
Sieht aus, als wär’s ein Tag wie jeder andere. Könnte gestern sein, letzte Woche, vor einem Monat. Aber das ist es nicht. Es ist kein Tag wie jeder andere.
Das hab ich nicht gewusst. Hab nicht geahnt, dass in einem Augenblick alles in Ordnung sein kann und im nächsten so schlimm, dass einem die Zeit davor vorkommt wie ein Traum.
Oder vielleicht ist das hier ja der Traum. Ein langer schrecklicher Traum mit einem Sturm und Männern in Schwarz, die Pa getötet und Lugh mitgenommen haben. Vielleicht wach ich ja gleich auf. Ich werd allen davon erzählen, und dann schütteln wir den Kopf darüber, wie albern Träume sein können.
In meiner rechten Hand pocht es dumpf. Ich halt sie hoch. Da ist ein Stück Stoff drum, ganz dreckig und zerrissen. Ich drück drauf. Ein stechender Schmerz schießt mir den Arm rauf. Fühlt sich ziemlich echt an.
Jemand sagt was.
Saba? Emmis Stimme. Saba?
Häh?
Was ist mit Procter John?
Ich guck zu Boden. Seine Leiche liegt ausgestreckt da, das Gesicht ist vor Schmerz verzerrt. Er war wohl nicht sofort tot.
Ich hab euch doch gesagt, er ist der Richtige. Ich muss es wissen. Ich hab ihn die ganze Zeit im Auge behalten, wie ihr gewollt habt.
Überlass ihn den Geiern, sag ich.
Der Wind stinkt nach brennenden Reifen. Riecht ziemlich echt. Meine Kopfhaut kribbelt.
Ich häng mir den Rindenbeutel über die Schulter. Dann geh ich los. Ich guck nicht zurück. Ich komm nie mehr hierher zurück.
Toter See. Totes Land. Totes Leben.
Der Pfad
B loß ein schmaler Pfad führt zum Silverlake und wieder von da weg. Ansonsten gibt es hier in der Gegend nur offenes Land. Niedriges Gestrüpp, Felsblöcke und Ruinen von ein, zwei Abwrackergebäuden. Der Pfad führt nach Nordosten. Zufällig liegt auch Crosscreek, wo ich Emmi bei Mercy lassen werd, von hier aus drei Tage Richtung Nordosten. Allerdings nach Pas Rechnung. Bei Emmis kurzen Beinen werden drei Tage nicht reichen. Und sie ist schrecklich langsam zu Fuß.
Na komm, Emmi, sag ich, zeig mal, wie flott du bist.
Mit großen Schritten geh ich los. Nach etwa zehn Schritten dreh ich mich um und seh nach, ob sie mithält.
Sie ist stehen geblieben. Steht mitten auf dem Pfad. Hat die Arme vor der mageren Vogelbrust verschränkt. Den
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