Dustlands - Die Entführung
hast du das gelernt?, frag ich.
Sie zuckt die Achseln. Ich hab Lugh zugeguckt. Dann hab ich so lang geübt, bis ich’s hingekriegt hab.
Das wusst ich gar nicht, sag ich. Warum hast du mir nichts davon gesagt?
Du hast es nicht gern gehabt, wenn ich mit dir rede, sagt sie. Du hast immer gesagt, ich soll die Klappe halten und abhauen.
Gar nicht wahr!, sag ich. Aber meine Wangen werden ganz heiß. Weil wir beide wissen, dass es stimmt. Es klingt grässlich, wenn sie es so sagt. Dass ich nie Zeit für sie gehabt hab. Aber sie hat recht. Hab ich wirklich nicht. Nicht als ich noch Lugh gehabt hab. Wenn wir zusammen sind, ist er alles, was ich brauche. Das ist von Anfang an so gewesen.
Also, mal sehen, sagt Jack. Sie kann reiten, sie kann schießen, und sie hat Mumm. Hab ich was vergessen?
Du hast vergessen, dass sie erst neun Jahre alt ist, sag ich.
Er ist auch mein Bruder, nicht nur deiner, sagt Emmi.
Guter Hinweis, sagt Jack. Und sie war so lieb, die Schleuder für ihren Bruder aufzubewahren.
Beide gucken sie mich an.
Nein!, sag ich und guck wütend zurück. Nein, nein, nein!
Sie sagen nichts. Gucken mich nur an.
Glotzt nicht so! Ich seufze. Ach, verdammt! Okay, du kannst mitkommen. Aber du tust, was ich dir sag, und es wär besser, wenn du mir keinen Grund gibst, das zu bereuen, Emmi. Sonst gibt’s Ärger, darauf kannst du dich verlassen.
Aber ich führ offenbar ein Selbstgespräch. Sobald Emmi was von mitkommen hört, stößt sie einen Freudenschrei aus. Sie und Jack schütteln sich die Hände. Dann fliegt sie mir um den Hals. Guckt mit glänzenden Augen zu mir hoch. Ich hab sie noch sie so glücklich und so aufgeregt gesehen.
Ich enttäusch dich bestimmt nicht! Sie hüpft und springt zur Schlafhütte und ruft dabei: Epona! Hey, Epona! Rat mal!
Ich zeig mit dem Finger auf Jack. Wenn ihr irgendwas passiert, sag ich, weiß ich ja, wer schuld ist.
Er packt grob meine Hand. Seine Augen gucken hart wie Stein, eisig wie ein grauer Winterhimmel. Seine Hand ist warm. Seine Handfläche rau. Ein Kribbeln läuft mir den Arm rauf. Mir kannst du nichts vormachen, sagt er leise.
Ach, was?
Ja, sagt er. Ich seh es in deinen Augen. Für dich zählt nur dein kostbarer Bruder.
Das ist nicht wahr, sag ich.
Wenn sie Emmi mitgenommen hätten, sagt er, Emmi, und nicht Lugh … würdest du sie dann suchen?
Ich hol Luft und will sagen, natürlich würd ich das. Aber sein Gesichtsausdruck bremst mich. Hat keinen Zweck, zu lügen, wenn er die Wahrheit schon kennt.
Er lässt mich los und tritt einen Schritt zurück. Hab ich’s mir doch gedacht, sagt er. Bei mir ist deine Schwester besser aufgehoben, als sie es bei dir je sein könnte. Sitz du nur weiter auf deinem hohen Ross und überlass Emmi mir.
G ib mir deine Hand. Maev spricht leise, damit die anderen sie nicht hören können. Sie steckt mir einen goldenen Ring an den rechten Mittelfinger. Falls du mich je brauchst, sagt sie, falls du die Hawks brauchst, schick Nero damit her, und wir kommen. Egal wo, egal wann … schick mir den Ring, und wir kommen.
Sie tritt zurück.
Mir wird das Herz weit. Ich sitz auf Hermes und guck zu ihr runter. Sie lächelt zu mir hoch.
Du hast uns aus Hopetown rausgeholt, sag ich. Hast uns das Leben gerettet. Du hast uns Kleider und zu essen und Pferde gegeben … die Möglichkeit, Lugh zu suchen. Ich … wir schulden dir schon so viel, ich weiß nicht, wie ich das je zurückzahlen soll, aber wenn wir erst –
Freunde schulden sich nichts, sagt sie. Freunde zahlen nichts zurück. Mach’s gut. Ich hoffe, du findest deinen Bruder.
Wiedersehen! Emmi beugt sich runter und umarmt Epona.
Tu, was Saba und Jack dir sagen, sagt Epona.
Pass auf sie auf, Jack, sagt Maev. Sonst jagen wir dich bis ans Ende der Welt. Und wenn wir dich finden, reißen wir dir die Eingeweide raus und verfüttern sie an die Schakale, und du kannst dabei zugucken.
Ich werd’s mir merken, sagt Jack.
Nero kreist über uns. Er krächzt, er hat es eilig, loszukommen. Ich guck hoch. Es wird Zeit, sag ich. Ich schnalz Hermes zu, und wir reiten los mit unseren Satteltaschen und Bündeln und vollen Wasserschläuchen, die wir den Free Hawks verdanken. Jack reitet auf Ajax vor, Emmi auf einem Pony namens Joy in der Mitte, und ich bin die Nachhut.
Sie haben sich alle versammelt, um uns zu verabschieden. Jetzt rufen sie uns alles Mögliche zu: Wiedersehen, viel Glück, vergesst uns nicht, bis bald und so was.
Ich guck mich noch mal um. Nach Ash, Epona und den anderen.
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