Dustlands - Die Entführung
ist. Goldene Haare wie die Sonne. Lang, zu einem Zopf geflochten, der ihm bis zur Hüfte geht.
Deine Haare wachsen auch schon wieder, sagt er. Sie sind dunkel.
Schwarz, sag ich. Wie die von Pa. Früher waren die richtig hübsch. Dick und lang und … Jetzt seh ich bestimmt ziemlich bescheuert aus.
Nein, sagt er.
Als Ma noch gelebt hat, hat sie immer gesagt, du bist die Nacht, Saba, und Lugh ist der Tag. Ich bin die, die immer alles viel zu ernst nimmt. Lugh ist der, der lächelt und alle zum Lachen bringt. Er ist ein guter Mensch, mein Lugh. Er ist alles, was ich nicht bin.
Glaubst du das wirklich? Dass du kein guter Mensch bist? Dass du nicht schön bist?
Ich sag nichts.
Du vermisst ihn bestimmt, sagt er.
Ich hab nicht gewusst, dass es so wehtun kann, jemanden zu vermissen, sag ich. Aber es tut schrecklich weh. Tief drin. Als ob es in meinen Knochen sitzen würd. Wir sind bis jetzt noch nie getrennt gewesen. Nie. Ich weiß nicht, wie ich ohne ihn sein soll. Es ist, als ob ich … nichts wär ohne ihn.
Sag das nicht, sagt er. Sag das niemals. Du bist was Eigenes, Saba. Was Gutes und Starkes und Wahres. Mit ihm oder ohne ihn.
Er streckt die Hand aus und wischt mir mit dem Daumen die Tränen ab. Ich hab gar nicht gemerkt, dass ich wein. Seine Berührung hinterlässt eine warme Spur auf meinem Gesicht.
Die Wolken reißen kurz auf, und ich tauch ein in diese seltsamen silbrigen Augen. Sie sind wie ein See mit Mondschein drauf. So liegen wir lange da und gucken uns einfach an, in dieser lauen, nach Kiefern duftenden Nacht. Irgendwann sagt er: Wir finden ihn. Versprochen. Jetzt versuch, ein bisschen zu schlafen. Ich übernehm die erste Wache.
Weck mich, wenn ich dran bin, sag ich.
Mach ich, sagt er.
Nacht, Jack.
Nacht.
Er setzt sich auf und lehnt sich an einen Baumstamm.
Jack?, flüster ich.
Was?
Danke.
Träum schön, Saba.
Aber ich kann noch lange nicht einschlafen.
Was Gutes und Starkes und Wahres. Das hat er gesagt. Noch nie hat jemand so was über mich gesagt. Ob er das wohl ernst meint?
Der Jack, den ich bis jetzt gesehen hab, der Jack wickelt jeden um den kleinen Finger, weiß auf alles eine Antwort und lächelt, als gäb’s kein Morgen. Aber wie er heute Nacht ist, wie er gewesen ist, als wir uns unterhalten haben, das hätt ich nicht gedacht. Erinnert mich an Mercy. Ich hab diese … Stille, kann man es vielleicht nennen … in seinem Innersten gespürt. Dasselbe Gefühl hab ich auch bei ihr gehabt. Stille, wie bei stillem Wasser.
Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Es scheint nicht zusammenzupassen. Und das gerade, wo ich gedacht hab, ich wär endlich schlau aus ihm geworden.
Aber es ist wirklich so, dass ich glaub, ich … fang vielleicht an, ihm zu vertrauen. Ich weiß, Maev glaubt, er verschweigt uns was, verheimlicht uns was. Und vielleicht hat sie ja recht. Sie hat viel mehr von der Welt gesehen als ich, hat viel mehr Leute kennengelernt. Emmi mag ihn offenbar, aber was weiß Emmi schon? Sie ist doch nur ein kleines Mädchen.
Ich weiß nicht, ob es richtig ist, ihm zu vertrauen.
Ich guck zum Himmel hoch. Zu den grauen Wolken, die über den schwarzen Nachthimmel jagen.
Ich wünscht, Lugh wär hier. Er könnt es mir sagen. Er würd es wissen.
E s ist Mittag. Wir sind immer noch in den Ausläufern von den Black Mountains. Das Land ist trocken und staubig, aber es wird hügeliger, felsiger und immer bewaldeter.
Jack ist den ganzen Vormittag ein Stück vor uns geritten. Ich bin froh, dass ich nicht viel mit ihm reden muss. Ich wünscht, ich hätt ihm gestern Nacht nicht so viel erzählt. Ich weiß eigentlich gar nicht, warum ich das getan hab. Ich hätt mich nicht rumkriegen lassen dürfen, neben ihm zu schlafen.
Emmi reitet neben mir, und Nero reitet auf Hermes mit. Emmi guckt sich immer wieder um.
Was ist los?, frag ich.
Sie runzelt die Stirn. Nichts, sagt sie. Aber sie guckt sich trotzdem immer wieder um. Ich merk, dass sie nicht locker ist. Dass irgendwas sie beschäftigt. Irgendwann ertrag ich es nicht mehr. Ich pack Joys Zügel, so dass sie anhalten muss.
Du machst mich verrückt, Em, sag ich. Sag mir, was los ist.
Jack lässt Ajax kehrtmachen und kommt zu uns zurück.
Was ist los?, fragt er. Was ist, Emmi?
Sie kaut auf der Unterlippe. Guckt ganz beklommen.
Emmi, sag ich. Spuck’s schon aus, sonst schüttel ich es aus dir raus.
Ich … ich glaub, da folgt uns jemand, sagt sie.
Was?, sag ich.
Wo?, fragt Jack. Er holt irgendwas aus der Satteltasche.
Im
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