Dying to Live: Vom Überleben unter Zombies (German Edition)
oder wichtiger als die anderen.«
»Und welcher bist du?«
Wieder lachte er. »Also, eine Frage wie diese würde hier nun wirklich kein anderer stellen! Dabei macht gerade die noch viel mehr Spaß! Ich muss dir ehrlich sagen, ich weiß es nicht. Das ist keine faule Ausrede – ich bin wirklich nicht ganz sicher. Das Einzige, was ich sicher weiß, ist, dass ich absolut keine Willensstärke habe. Schau dir nur mal an, wie ich einfach mitgemacht habe und ihr Anführer wurde, obwohl das wirklich das Letzte war, was ich mir gewünscht hätte! Ich bin auch pragmatisch, ganz bestimmt, aber nicht so wie Jack. Und Tanyas rohe Gefühle sind mir ziemlich fremd. Und auch wenn das die Menschen hier sicherlich überraschen würde, fürchte ich, dass ich recht durchschnittlich bin.«
Er hatte mich mit diesem abstrakten Gesprächsthema vollkommen fasziniert und in seinen Bann gezogen. Ich hatte das Gefühl, seit Monaten nicht mehr so eine Unterhaltung geführt zu haben, aber tatsächlich war es weitaus länger her, dass ich so mit jemandem hatte sprechen können – das letzte Mal vermutlich vor vielen Jahren, in meiner Zeit als Student. »Und was ist mit dem Fleisch, unseren Körpern? Viele Religionen und Philosophien messen dem große Bedeutung bei oder sind der Ansicht, wir würden dem zu viel Bedeutung schenken.«
Er schüttelte den Kopf. »Das ist auch so ein Punkt, bei dem ich mir nicht sicher bin, dass irgendjemand, von dem ich etwas gelesen habe, den Nagel auf den Kopf trifft. Aber irgendetwas stimmt mit dem Fleisch nicht, oder? Ich meine, darum geht es doch bei dieser ganzen Geschichte, oder nicht?« Er gestikulierte in Richtung Fenster. »Schau dir die dort draußen mal an. Hast du sie dir wirklich mal genau angesehen – ganz aus der Nähe?«
Ich erinnerte mich an das Mädchen im Supermarkt, an Daniel Gerard und an den kleinen Jungen vor dem Tor, und mich überkam ein Schauder. Und das war noch nicht einmal das komplette Blutbad, das ich an einem einzigen Tag angerichtet hatte. »Ja, das habe ich. Und ich kann es nicht ertragen.«
Milton nickte. »Das dachte ich mir. Und auch daran kannst du sehen, wie unterschiedlich wir alle sind. Jack kann sie aufschlitzen, in die Luft jagen oder in Brand stecken, ohne mit der Wimper zu zucken, weil es einfach Sinn ergibt, das zu tun – als ob man eine Warze entfernt. Tanya kann es tun, weil sie so wütend auf sie ist. Beide könnten sie knietief in Blut stehen, und es würde sie genauso wenig berühren, als seien es nur die Handvoll Bluttropfen einer geschlachteten Gans.
Wenn man jedoch nicht gerade eine ihrer Sichtweisen teilt, sind die wandelnden Toten zutiefst verstörend, nicht wahr? Sie sind nichts als Fleisch – ohne Vernunft oder Gefühle, sogar ohne Willen – simpel, ungeführt, ungeschönt. Nur Fleisch, das sich einfach nicht niederlegen und sterben, das nicht wieder zu Erde werden will. Und ich muss zugeben, dass es das Fleisch ist, das mir am meisten Schmerzen und Unbehagen bereitet – und den Menschen hier all diese fantastischen Vorstellungen von mir gibt.«
Ich wartete einen Moment ab, aber die Anspannung in mir wurde immer größer. »Ich fürchte, ich verstehe nicht ganz, und vielleicht geht es mich auch gar nichts an, aber wieso haben sie denn all diese Vorstellungen von dir und deinem … Zustand?«
Er seufzte. »Du hast recht, ich sollte dir das erklären, bevor du von jemand anders irgendeine verrückte, ausgeschmückte Version hörst. Aber erwarte bitte nichts allzu Aufregendes. Ein Märchen ist’s, voller glücklicher Zufälle, das mich hierhergeführt hat, und das nichts bedeutet.«
Ich lächelte. »Nun, immerhin bin ich schon mal sicher, dass es nicht von einem Dummkopf erzählt wird.«
Er lachte herzhafter als je zuvor. »Oh ja, das ist wirklich gut! Ich hätte es besser wissen müssen, als einem Englischprofessor mit Shakespeare-Zitaten zu kommen, aber das ist mir einfach rausgerutscht. Ich wusste wirklich nicht mehr, woher ich es kannte! Ich werde noch so viel Spaß haben, jetzt, wo du hier bist!«
Endlich begann Milton mit seiner Geschichte. Bevor die Toten sich erhoben, war er Wissenschaftler gewesen. Es war vollkommen unlogisch, aber wie alle anderen, das nehme ich jedenfalls an, musste ich ihn einfach fragen: »Du hattest, du weißt schon … nichts mit dem zu tun, was passiert ist?«
»Liebe Güte, nein! Ich habe in der Biotechnologie gearbeitet, aber das hatte überhaupt nichts mit dem zu tun, was geschehen ist. Es war nur
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