Dying to Live: Vom Überleben unter Zombies (German Edition)
der es Schönheit gibt – und ich wünsche mir, dass wir sie besser zu schätzen wissen und sie nicht als selbstverständlich erachten. Deshalb wollte ich, dass die Menschen durch die Initiation, die sie zu einem echten Mitglied der Gemeinschaft machte, lernten, dass sie kämpfen und sich wehren konnten und dass sie in der Lage waren, den anderen dadurch etwas zu schenken, das nicht einfach nur nützlich war, sondern schön oder erhebend, und sei es auch nur die winzigste Kleinigkeit. Vielleicht sogar besonders, weil es nur eine winzige Kleinigkeit war! Mein Gott, kannst du dich noch daran erinnern, wie wundervoll die Zehen der Frauen im Sommer in ihren Sandalen aussahen, wenn sie Nagellack trugen? Also, das hatte schon was!«
Ich lachte und schüttelte den Kopf. Auch Milton lachte, für eine ganze Weile. »Mein Gott, Milton, wie bist du bei der Frage, was uns menschlich macht und von Tieren und Zombies unterscheidet, bloß von Shakespeare auf lackierte Zehennägel gekommen?«
»Entschuldige, es tut mir leid. Ich habe dir ja gesagt, dass ich lange niemanden zum Reden hatte, und jetzt sprudelt es nur so aus mir heraus. Aber mal ehrlich«, er wurde wieder ernster, »ich hoffe wirklich, dass wir diesen Ort eines Tages so weit aufgebaut haben, dass wir Lebensmittel und Sicherheit als selbstverständlich ansehen und dass die Menschen die Dinge dann für sich selbst ein bisschen besser gestalten können, egal, ob sie sich über Kosmetik, Shakespeare oder Discomusik freuen. Wäre das nicht wunderbar? Dieser Luxus, der es den Menschen ermöglicht, Dichter, Musiker, Modedesigner oder Sportler zu sein? Würdest du dir das nicht auch für deine Kinder wünschen? Und ist das wirklich zu viel verlangt?« Er wurde etwas leiser. »Haben wir es dermaßen versaut, dass unsere Kinder nicht einmal das verdienen?«
Eine Unterhaltung mit ihm glich einer holprigen Fahrt, die eine kurvige Straße hinabführte, und nun war er um die nächste Kurve gebogen und im nächsten Abschnitt oder in der nächsten Rolle angekommen. Nun war er nicht mehr der zögerliche Messias oder der Typ, der sich mit einem mutierten Virus infiziert hatte, durch das er die lebenden Toten bezwingen konnte, und auch nicht der postapokalyptische Weihnachtsmann mit dem Zehenfetisch: In diesem Moment konnte ich ansatzweise erkennen, dass er es vermochte, die Menschen dazu zu motivieren, sich politisch zu organisieren, ihre Ziele zu verfolgen und Opfer zu bringen, um etwas zu schaffen oder Teil von etwas zu werden, das größer war als jeder Einzelne. Ich glaube nicht, dass Milton schon in den Sphären einer Rede wie »Fragt nicht, was euer Land für euch tun kann« oder »Ich habe einen Traum« angekommen war, aber er war weit über das rhetorische Stadium von »Kein Kind wird zurückgelassen« oder »Ich fühle eure Schmerzen« hinaus, die uns in der jüngeren Vergangenheit so oft herabgesetzt, an die wir uns schon so sehr gewöhnt hatten.
»Ich glaube, du wirst das hier schon hinkriegen, Milton, und vielleicht sogar früher, als du denkst.«
»Ich hoffe, dass du recht hast, Jonah. Und ich hoffe, dass du uns helfen wirst.«
»Oh, das werde ich ganz bestimmt. Du und Jack solltet mich einfach nur noch ein bisschen hierbleiben lassen, bevor ihr mich wieder da rausschickt. Ich war zu lange unter den Toten. Jetzt würde ich das Leben hier gerne ein bisschen genießen. Ich schätze, man könnte sagen, ich suche nach Leben unter den Toten.«
Milton lächelte und erhob sich. »Ich hoffe, das wird nicht eines Tages als mein wichtigster Ausspruch gelten, aber es schien der passende Slogan zu sein, um allen dort draußen zu zeigen, dass sie zu uns kommen und Ruhe bei uns finden konnten.«
»Bei mir hat’s funktioniert«, versicherte ich, als wir uns die Hände schüttelten.
»Und darüber bin ich wirklich sehr froh«, erwiderte Milton. Er brachte mich zur Tür und wir verabschiedeten uns für diesen Tag.
Kapitel 8
Einige Wochen vergingen. Ich zog von meinem Gästezimmer in die Hauptunterkünfte um. Ich gewöhnte mich an das Kampftraining mit Jack und Tanya am Morgen, und irgendwann gelang es mir sogar zu kämpfen, ohne dass es mich zu sehr mitnahm; am Ende bewegte ich mich sogar mit einer gewissen Eleganz und Leichtigkeit. Sobald ich mit dem Training fertig war, half ich bei anderen Arbeiten auf der Anlage aus – ich holte Wasser aus dem Fluss, pflanzte und wässerte das Getreide, von dem wir hofften, dass es irgendwann Teil unserer Ernährung sein würde, und baute
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