Dystopia
verstrichen war, ohne dass sich hinter ihnen etwas getan hätte, hörten sie und Bethany auf, sich gegenseitig Hoffnung zu machen. Immer einsilbiger setzten sie ihren Weg nach Süden fort, bis sie schließlich völlig verstummten. Nach Reden war ihnen einfach nicht mehr zumute.
Hin und wieder kamen sie in der Finsternis an Stellen vorbei, wo es sich so anhörte, als würde der Regen auf tiefe Wasserflächen plätschern. Was es mit diesen Stellen genau auf sich hatte, wussten sie nicht, blieben aber ständig auf der Hut, um nicht versehentlich in ein solches Wasserloch zu treten. Der Dauerregen war schon schlimm genug, wobei sie dank der Bäume wenigstens nicht völlig durchnässt wurden. In ein stehendes Gewässer zu fallen und von Kopf bis Fuß klatschnass zu werden, ohne jede Möglichkeit, ihre Kleidung zu trocknen und sich aufzuwärmen, hätte lebensgefährliche Folgen haben können.
Schließlich machten sie halt. Wie weit sie inzwischen nach Süden vorgedrungen waren und ob es ihnen überhaupt gelungen war, sich an die geplante Route zu halten, wussten sie nicht zu sagen. Sie tasteten sich an einer dicken Kiefer bis zum Stamm vor und kletterten daran empor, bis sie in etwa drei Metern Höhe eine Unterlage aus Ästen fanden, die dicht genug war, um sich darauf für die Nacht einzurichten.
Lange lagen sie in der Finsternis da, ohne einschlafen zu können. Immer wieder hörten sie Geräusche von Tieren, die durch den Wald streiften, bisweilen sogar direkt unterhalb der Äste, auf denen sie lagen. Vielleicht bloß Rotwild. Es war unmöglich zu sagen.
Irgendwann schlief Paige ein. Kurze Zeit später wachte sie wieder auf. Es war noch immer stockfinster, und auch der Regen hatte nicht nachgelassen. Sie hörte ein mühsam unterdrücktes Schluchzen: Es war Bethany, die still vor sich hin weinte wie ein verängstigtes Kind und so sehr zitterte, dass es in den Ästen zu spüren war. Paige legte die Arme um sie und drückte sie fest an sich. Das half anscheinend.
Als sie am Morgen aufwachten, war es bereits hell. Der Regen hatte zwar aufgehört, aber es war unverändert kühl, und der Himmel über den Ruinen der Stadt war genauso bleigrau wie am Tag zuvor.
Sie kletterten von der Kiefer herunter. Jetzt erkannte Paige auf Anhieb, wo sie sich befanden: an der südwestlichen Ecke des Central Park. Auch das Rätsel der Wasserlöcher löste sich, es handelte sich um Zugänge zur U-Bahn. Der Eingang zur Station Columbus Circle stand völlig unter Wasser, das aber nicht bis auf Straßenhöhe heranreichte. Was wohl kaum auf den Regen zurückzuführen war, überlegte Paige. Es war lediglich der normale Grundwasserspiegel der Insel, weil die Pumpen, die sonst dafür sorgten, dass die Tunnel nicht überflutet wurden, längst nicht mehr in Betrieb waren.
Nun, da es hell war, fanden sie auch trockenes Holz: einen abgestorbenen jungen Baum in einem noch intakten Gebäudeeingang aus Stein. Sie zerbrachen ihn in kleine Stücke, die sie auf dem trockenen Beton unterhalb des Vordachs aufhäuften. Paige bog und stocherte so lange mit einem scharfkantigen Stein an einer Patrone aus dem Magazin der SIG Sauer herum, bis sie sich auseinandernehmen ließ. Sie verteilte das Pulver in einer dünnen Schicht unter einer Ecke des Anzündholzes und platzierte das Zündhütchen der Patrone genau in der Mitte. Dann ließ sie den Stein auf das Zündhütchen niedersausen. Das Pulver flammte auf, und ein paar der Zweige qualmten und kokelten kurz vor sich hin, ehe sie sang- und klanglos wieder erloschen.
Bei der dritten Patrone – der vorletzten von den vieren, die sich noch in der Pistole befunden hatten – sprang der Funke endlich über. Nun kam es ausschließlich darauf an, laufend Holz aufzutreiben, das trocken genug war, um das Feuer in Gang zu halten. Damit hatten sie den ganzen Vormittag und bis in den Nachmittag hinein zu tun. Noch immer wechselten sie kaum ein Wort.
Travis beobachtete, wie sich vor ihnen in der Ferne New York aus dem Nachmittagsdunst schälte. Der Kampfjet – diesmal eine F-15D statt einer F-15E, was hinsichtlich der Höchstgeschwindigkeit keinen Unterschied machte – ging in den Sinkflug über, und dabei beschleunigte er kurzzeitig sogar, von 1650 Meilen in der Stunde auf 1665.
Der Jet war fünf Minuten, nachdem Travis durch die Iris in den Qualm des brennenden Privatjets zurückgekehrt war, von der Homestead Air Reserve Base bei Miami aus gestartet. Die Entfernung von Miami nach Arica war nur unwesentlich
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