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E-Book statt Papierkonserve

E-Book statt Papierkonserve

Titel: E-Book statt Papierkonserve Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlies Michaelis
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die Entfernung von der Umgebung bedeutete.
    Ganz anders sieht das Vilém Flusser. Auch er bemerkt einen Rückgang des Gedruckten zugunsten elektronischer Medien. Doch er betont noch weit mehr als McLuhan den Rückgang des linearen Textes im kulturellen Kontext. Der tschechische Medienphilosoph sieht im gedruckten Wort den Garanten für Linearität und damit auch – in einem größeren Sinn – für Geschichte. Abgelöst wird der gedruckte Buchstabe seiner Ansicht nach durch das Technobild der elektronischen Medien, das uns beispielsweise in jedem Funktionsdiagramm einer PowerPoint-Präsentation begegnet. Die Technobilder stellen laut Flusser eine noch höhere Abstraktionsstufe als die alphabetische Schrift dar. Sie sind Bilder statt komplexer, sprachlich ausgedrückter Sachverhalte. Doch während das Geschriebene dank seiner linearen Abfolge gleichzeitig ein Modell für den Ablauf von Geschichte ist, fehlt den Technobildern laut Ansicht von Flusser diese Abfolge. Es gebe, so der Medienphilosoph, auf einer abstrakteren Ebene noch keine Bedeutung wie die der Geschichte für das Wort.
    Gemeinsam ist beiden Sichtweisen – der von McLuhan und der von Flusser –, dass sie das gedruckte Medium vor dem Aus sehen. Allerdings übersehen sie, dass das Geschriebene zwar nun ohne Papier und Einband vorliegt, aber im Zeitalter des World Wide Web in diesem vereinigenden Medium als linearer Text neben und mit Video- und Audiobeiträgen vorkommt. Der digitale Raum ist demokratisch, er lässt alle Nutzer und alle Medien zu. Der lineare Text steht nicht vor dem Aus. Er ist in einem Wandel begriffen und wird digital. Doch dies betrifft auch Fernsehen und Radio als zuvor separate elektronische Medien. Das World Wide Web ist das Über-Medium, das alle vereint. Die Mediengrenzen, die zuvor aufgrund der unterschiedlichen Übertragungskanäle strikt gesetzt waren, verschwimmen zunehmend. Aus einst verschiedenen Medien werden unterschiedliche Elemente eines Beitrags.
    Die mediale Einheit besteht nicht mehr nur aus einem Film oder einem Audiobeitrag, sondern kann unterschiedliche mediale Elemente enthalten, etwa einen Film und einen Text. Das einzige verbindende Element ist die inhaltliche Ausrichtung. Ein Video über die Regierung in Kasachstan mitten in einem Text über das Wimbledon-Endspiel der Damen werden wir als befremdlich wahrnehmen. Enthält das Video aber einen Bericht über die Ausbildung von Tennisspielerinnen in Spanien, dann werden wir darin eine wertvolle Ergänzung zum schriftlichen Beitrag sehen. Die Medien können unterschiedlich sein. Was sie verbindet, ist nicht mehr ihre Form, sondern Inhalt und Stil – wobei die Nutzerinnen und Nutzer ihr Möglichstes tun werden, um einen Bezug hineinzuinterpretieren.
    Mit Eintreten des Buches in den digitalen Raum, mit zunehmender Verfügbarkeit und steigendem Absatz von elektronischen Büchern samt Trägergeräten und zugehöriger Software wird nicht das Buch als Schriftwerk, wohl aber seine Ausprägung als gedrucktes Machwerk auf Papier immer entbehrlicher. Das, was einst den enormen Erfolg des gedruckten Buches gegenüber dem von Hand kopierten Text begründete – ein niedriger Preis, eine kurze Herstellungszeit, gute Transportmöglichkeiten und leichte Lesbarkeit –, wird nun auch seinen Abgang einläuten, denn ebendiese Kriterien vermag das E-Book neuester Machart inzwischen besser zu erfüllen als sein Vorgänger auf Papier.
    Somit stellt sich die Frage, wie viel von dem, was ein Buch ausmacht, vom Druck und vom Papier selber abhängt. Schriftstücke zeichnen sich durch eine lineare, prozesshafte Abfolge aus. Im Rahmen eines Buches – ganz gleich, ob eine Geschichte erzählt oder eine Sache ausführlich untersucht wird – gibt es einen langsamen, aber stetigen Aufbau der Gedanken. Vor der ersten Zeile wissen wir noch nichts von dem Gedankengang oder der Geschichte, in die uns die Autoren einweihen wollen. Vielleicht haben wir bereits etwas darüber gehört oder gelesen, aber das unterscheidet sich doch grundsätzlich von dem, was wir erleben, wenn wir dem geschriebenen Text Zeile für Zeile und Wort für Wort folgen. Der Text ist linear und bietet uns ein Gewebe aus Gedanken und Ereignissen. Er ist ein abgeschlossener Bereich, der mit der ersten Seite beginnt und mit der letzten Seite endet. Manchmal fesselt er uns so sehr, dass wir uns eine Fortsetzung wünschen. Entspricht der Autor diesem Wunsch, dann entstehen Serien. Aber grundsätzlich ist das Buch eine geschlossene

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