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E-Book statt Papierkonserve

E-Book statt Papierkonserve

Titel: E-Book statt Papierkonserve Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlies Michaelis
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auch in der Zeit der Reformation. Er bot Reformatoren wie Martin Luther die Gelegenheit, ihre neuen Ideen schnell und wirksam zu verbreiten. Gedruckte Bücher und Flugschriften waren nicht nur Mittel, um Werke aus der Vergangenheit einem größeren Publikum zugänglich zu machen. Ob antike Klassiker, die lateinische Bibel oder reformatorische Schriften – Druckwerke lieferten gleichermaßen tradierte Schriften wie politischen Zündstoff. Die Druckerpresse war also auch ein Kampfinstrument im Streit um die „richtige“ Religion und damit um die Macht im Staate. Während auf den Schlachtfeldern die Kriege mit dem neu erfundenen Schießpulver geführt wurden, fanden die geistigen Schlachten und die um die Gesinnung mit den Produkten der Druckerpresse statt.
    Die katholische Kirche sah dies auch sofort als Gefahr an und schon im Wormser Edikt von 1521 befahl Kaiser Karl V., alle Schriften Luthers zu vernichten. Ebenso verbot er das Drucken oder Verkaufen von Büchern, die sich gegen den Staat oder die Kirche richteten. Das umfasste natürlich auch die Schriften der Reformatoren. Doch hielten sich die Drucker nicht an die Druckverbote. Daraufhin wurden sie bestraft und teilweise auch hingerichtet – wie 1527 Hans Hergot in Leipzig, der Schriften der Reformatoren Karlstadt und Thomas Müntzer gedruckt hatte.
    So war der Buchdruck für viele eine Bereicherung, für andere jedoch eine Bedrohung. Die Buchproduktion stieg schlagartig an. Buchdrucker konnten gedruckte Werke schneller und billiger herstellen als Schreiber oder auf Holzschnitt spezialisierte Werkstätten. Doch wie wirkte sich der neue Bücherkonsum auf die Leserinnen und Leser aus? Was die Menschen mit den Büchern machen, ist klar: Sie lesen und sammeln die gedruckten Werke. Was aber machen die Bücher mit den Menschen? Die Medienwissenschaftler Vilém Flusser (1920–1991) und Marshall McLuhan (1911–1980) haben dazu jeweils unterschiedliche Ansichten entwickelt. Für den Kanadier McLuhan ist die Gutenberg-Galaxie – also die Welt des geschriebenen und vor allem des gedruckten Wortes – ein Bereich, in dem der Einzelne durch die Lektüre von Büchern lernt, die Welt von sich zu entfernen. Man schaut die Welt ohne Teilnahme an, urteilt über sie, ist aber nicht mehr mit allen Sinnen gefordert. Medien, die eine andere Weltsicht und ein anderes Verhalten zur Welt bewirken, sind für McLuhan die elektronischen Medien wie das Fernsehen und das Radio. Er sieht eine der Auswirkungen des Buches darin, dass unsere Sinne getrennt und in ihren Funktionen verengt würden.
    McLuhan urteilt natürlich aus der Mediengesellschaft des 20. Jahrhunderts heraus. Für Zeitgenossen Luthers erschlossen die Schriften eine neue Welt, die sie ansonsten nie kennengelernt hätten. Ist der Preis für diese räumliche und zeitliche Überschreitung der Gegenwart tatsächlich die Verengung unserer Sinne, wie McLuhan es beschreibt? Sein Urteil ist geprägt von einem Vergleich der Medien. Das Buch und Gedrucktes überhaupt ist für ihn mit der Aufspaltung der Sinne und der Entfernung vom eigentlichen Geschehen besetzt. Er beschreibt die Erfahrung von Kindern so, dass sie alle ihre Sinne in die Lektüre des Gedruckten einbringen und das gedruckte Machwerk diese Sinne dann zurückweist. Das Fernsehen – als Vergleichsmedium zum gedruckten Buch oder zur gedruckten Zeitung – lässt sie dagegen (fast) alle zu. Wir bemerken das auch und sagen nichts anderes, wenn wir erklären, wir seien abends müde und zu nichts mehr fähig, als uns durch das Fernsehen berieseln zu lassen. Dieses Berieseln, der leichte, lauwarme Niederschlag aus Bildern und Tönen, lullt uns ein, gibt uns Schall und Rauch für Augen und Ohren, ohne uns allzu kritisch herauszufordern.
    Wenn wir McLuhan Glauben schenken, dann war die Erfindung der Druckerpresse ein Pakt mit dem Teufel: Für die Freiheit, die Gegenwart über Raum und Zeit hinaus zu erweitern, gab der Mensch seine Einheit der Sinne hin und geht seitdem recht kurzsichtig durch die Welt. Doch McLuhan und auch Flusser sprechen nicht vom 15. oder 16. Jahrhundert. Sie suchen die Ursprünge der Gegenwart und finden sie in Gutenbergs Druckerwerkstatt. McLuhan sieht staunend die Auswirkungen der neuen elektronischen Medien und beschreibt, wie unterschiedliche Medientypen unsere Wahrnehmung der Umgebung und der Welt beeinflussen. Er sieht die Klangmedien und die unmittelbar einnehmenden Medien auf dem Vormarsch, nachdem das Buch lange Zeit das Auge bevorzugte und

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