E-Book statt Papierkonserve
Fragen neu: Welchen Einfluss hatte das niedergeschriebene Wissen auf diejenigen, die des Lesens kundig waren? Wer bestimmte, was geschrieben oder gedruckt wurde, und damit auch, was die Menschen wissen und glauben konnten – jedenfalls in den Gesellschaften, in denen mündliche Überlieferungen nur noch eine untergeordnete Rolle spielten?
Nehmen wir ein Beispiel. Nehmen wir den „Hexenhammer“, ein Buch, in dem – gemessen an den kirchlichen Überzeugungen des 15. Jahrhunderts – nicht viel Neues enthalten war. Der Verfasser Heinrich Kramer bündelte das Wissen seiner Zeit über Hexen und Dämonen, packte alles zusammen in ein umfassendes Buch und nutzte das neue Verfahren des Buchdrucks, um sein Werk erstmals 1486 in Speyer drucken zu lassen. Das Buch erschien bis 1669 in insgesamt rund 30 Auflagen. Es war auf jeden Fall ein Bestseller. Und es machte deutlich, welchen Einfluss ein Buch haben konnte, das mit Hilfe des modernen Buchdrucks zu günstigen Bedingungen tausendfach reproduziert und weit verbreitet werden konnte.
Der „Hexenhammer“ fasste die Vorstellungen der Zeit über Hexen und Dämonen zusammen, berief sich auf kirchliche Autoritäten, besonders auf Augustinus und Thomas von Aquin, und betonte – im Gegensatz zu älteren kirchlichen Überlieferungen –, dass der von Hexen in Komplizenschaft mit Dämonen ausgeübte Schadenszauber tatsächlich Krankheiten und Unwetter sowie andere üble Ereignisse auslösen konnte. Im ersten Teil des Buches wurde die Frage beantwortet, wer an der Hexerei beteiligt war – der Teufel, die Hexe oder der Zauberer und Gott, weil er diese Untaten zuließ. Dabei wurde Letzteres als „göttliche Zulassung“ bezeichnet. Im zweiten Teil wurden die verschiedenen Arten des Schadenszaubers ausführlich behandelt und die jeweils zulässigen Gegenmittel oder Möglichkeiten genannt, um sich vor dem Zauber zu schützen. Der dritte Teil war jedoch für die Praktiker besonders wichtig: Darin wurde der genaue Ablauf des Hexenprozesses mit den drei Phasen Prozesseröffnung, Prozessverlauf und Prozessende erläutert. Und man ahnte: Hier berichtete einer aus der Praxis, der schon Erfahrung mit der Materie hatte.
Auch wenn lange Zeit Heinrich Kramer, genannt Heinrich Institoris, und Jakob Sprenger als Autoren des Buches galten, so muss doch mittlerweile Heinrich Kramer als alleiniger Autor genannt werden. Kramer wurde 1479 von Papst Sixtus IV. zum Inquisitor für Oberdeutschland ernannt. Er war also schon ein paar Jahre lang tätig gewesen, bevor er das Handbuch für Inquisitoren verfasste. Auslöser für das Schreiben des „Hexenhammers“ war der Abbruch einer von ihm geleiteten Inquisition im Jahr 1485 in Innsbruck. Der für die Stadt zuständige Bischof ließ Anfang 1486 alle angeklagten Frauen frei und riet dem Inquisitor Kramer, doch baldmöglichst die Stadt zu verlassen. Daraufhin arbeitete Kramer den „Hexenhammer“ aus. Die lesende Welt musste doch über die schädlichen Taten von Hexen und Zauberern unterrichtet werden. Kramer gehörte dem Dominikanerorden an, der 1231 von Papst Gregor IX. mit der Durchführung der Inquisition beauftragt worden war. Der „Hexenhammer“ wurde also aus dem Inneren der Kirche heraus verfasst und diente dazu, allen, die mit Hexenprozessen befasst waren oder sich für die Wirksamkeit von Schadenszaubern interessierten, einen umfassenden Überblick über das theoretische Hintergrundwissen und die praktische Durchführung dieser Prozesse zu geben.
Das Buch löste die Prozesse nicht aus und begründete sie auch nicht. Es begleitete und verstärkte aber sicherlich die erste Welle der Hexenprozesse in Deutschland. Der „Hexenhammer“ wirkte als Katalysator bei denjenigen, die Hexenprozesse durchführten, und bei denen, die (angebliches) Wissen über Schadenszauber verbreiteten. Ein wichtiges Element im Rahmen der Prozesse war auch, dass der „Hexenhammer“ dafür plädierte, bereits aufgrund von Gerüchten eine Klage zuzulassen und den jeweiligen Klägern eher den Status von Zeugen zu geben. Dadurch war es wesentlich leichter, einen Prozess zu beginnen, denn dieser konnte nur auf eine Klage hin eröffnet werden. Wurde die Klage abgewiesen, dann drohten dem Kläger unangenehme Konsequenzen. Doch durch den „Hexenhammer“ war eine Ablehnung nun weniger wahrscheinlich. Der „Hexenhammer“ war also deswegen so erfolgreich, weil er – vor dem zeitgeschichtlichen Horizont des 15. bis 18. Jahrhunderts – gültiges Wissen zuspitzte
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