E-Book statt Papierkonserve
und praktische Tipps für die Prozesse gab. Alle weiteren Hexentraktate beriefen sich – zustimmend oder ablehnend – auf den „Hexenhammer“.
Wie das Buch auf seine Leser wirkte, untersuchte der Historiker Walter Rummel am Beispiel des Kanonikers Wilhelm von Kastel aus dem Kloster Eberhardsklausen bei Trier. Der Klosterbruder berichtete in seinen Schriften, die von 1485 bis 1536 reichten, es sei ja bekannt, dass Menschen, besonders Frauen, mit Unterstützung von Dämonen Unheil anrichteten. In den Aufzeichnungen der frühen Jahre ging er aber noch davon aus, dass Gott nur bei äußerst sündigen Menschen zuließe, dass ihnen durch Schadenszauber Unheil zugefügt werde. In den folgenden Jahren las Wilhelm zwei Hexentraktate – neben dem „Hexenhammer“ noch den „Formicarius“ von Johannes Nider. In der Folge revidierte er sein Urteil über den Schadenszauber. Er hielt die Bedrohung durch Hexen und Dämonen plötzlich für weitaus größer. Nun sah er es als erwiesen an, dass der Schadenszauber auch völlig unschuldige Menschen töten konnte. Entsprechend richtete er auch seine Predigten und Ratschläge an die hilfesuchenden Bewohner der Gegend aus. So ersuchten ihn beispielsweise Eltern um Rat, deren Kinder umgekommen waren. Sie gaben sich die Schuld an ihrem Tod. Bruder Wilhelm – versehen mit dem neuen Wissen aus den Hexentraktaten – versicherte ihnen jedoch, dass nicht sie selbst, sondern die Hexen schuld am Tod ihrer Kinder seien. So wurde der kirchlich gebildete, des Lesens und Schreibens kundige Klosterbruder zu einem Multiplikator des neuen Wissens über Hexen und Dämonen.
Um 1497 gab es eine erste Welle der Hexenverfolgungen im Trierer Gebiet, weitere vier Wellen folgten bis 1525. Insgesamt wurden bei den Hexenprozessen in Europa, die bis ins 18. Jahrhundert hinein stattfanden, knapp 100.000 Menschen hingerichtet – zwischen 15.000 und 20.000 Personen allein in den deutschen Provinzen – und etwa dieselbe Anzahl verbannt. Die Anlässe für die Prozesse waren dabei äußerst unterschiedlich: Mal ging es um verendete Nutztiere, deren Tod durch Hexerei verursacht worden sein sollte. Zudem wurden Krankheitsfälle der Hexerei zugeschrieben. Auch Wetterzauber gehörte zu den häufig vorgetragenen Anschuldigungen. Da schlechte Ernten und durch Unwetter zerstörte Felder zu Hungersnöten und in ganzen Regionen zu steigenden Preisen führen konnten, wurden dafür gern Schuldige gesucht – und auch gefunden.
Wäre die Hexenverfolgung ohne die Erfindung und Verbreitung des Buchdrucks weniger intensiv verlaufen? Das können wir nicht mit Sicherheit sagen. Denn neben den Büchern, die vor dem gefährlichen Zauber warnten und die Ausrottung von Hexen und Zauberern forderten, gab es ja auch Bücher, die sich gegen Folter und Mord aussprachen, wie etwa die 1631 erstmals gedruckte „Cautio Criminalis“ von Friedrich Spee. Am Beispiel des „Hexenhammers“ sehen wir aber, dass ein Medium niemals gut oder schlecht ist. Das Buch ist nicht per se gut oder schlecht. Es kann für alle möglichen Zwecke genutzt werden. Und die Annahme liegt nahe, dass es auch für alle Zwecke, für die es in Frage kommt, genutzt wird. Wenn also ein neues Medium erfunden und verbreitet wird, dann können wir davon ausgehen, dass alles, was damit publiziert werden kann, auch publiziert werden wird. Es sei denn, es ist möglich, wirksame Gesetze zu erlassen, die den Gebrauch des Mediums auf die vom Gesetzgeber gewünschten Zwecke begrenzen. Doch mit seinen Verboten der reformatorischen Schriften war schon Karl V. im Jahr 1521 ähnlich erfolglos, wie heutige Gesetzgeber es gegen zahlreiche Gesetzesverstöße im Internet sind.
Der „Hexenhammer“ war also kein Akteur in den Hexenprozessen. Aber dieses Buch trug dazu bei, dass noch über den Tod seines Schöpfers hinaus sein gesammeltes Wissen über Hexenprozesse erhalten blieb. So wurde der Diskurs über die Prozesse weitergetragen, erhalten und befördert, solange es Akteure gab, die sich durch Lektüre das Niedergeschriebene aneigneten. Durch seine Formulierungen legte der Text fest, wie Hexerei möglich war und wie sie sich im Schadenszauber äußerte. Damit konstruierte der Text für den Leser, was Hexerei war. Er gab Deutungsmuster für alltäglich Wahrgenommenes vor.
So beschrieb der „Hexenhammer“ beispielsweise, wie nach einem Hagelsturm bei Ravensburg die Bevölkerung diesen als Hexerei angezeigt hatte. Der Inquisitor hatte ermittelt und zwei Frauen
Weitere Kostenlose Bücher