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e-Motion

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Titel: e-Motion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erica Orloff
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nie, wann man jemanden wie sie gebrauchen kann.

16. KAPITEL
    I ch schlüpfte in Jeans und T-Shirt und ging hinunter in die Küche. Als Erstes nahm ich den Geruch von Zwiebel und heißem Schweinefett wahr.
    „Maria? Wissen Sie, wo Roland ist?“
    „Er hat sich heute Morgen mit seiner Angelrute auf den Weg gemacht. Somit erwarte ich ihn nicht vor dem Nachmittag zurück“, sagte sie und rollte dabei jedes R.
    „Ich gehe ein bisschen spazieren. Wenn er zurückkommt, sagen Sie ihm bitte, dass ich mit ihm sprechen muss. Es ist wichtig.“
    Sie nickte, aber ich merkte, dass sie das Gemüse wesentlich energischer klein hackte.
    „Was ist los, Maria?“
    „Seit Sie hier sind, ist Mr. Riggs völlig durcheinander. Er trinkt zu viel. Der Tag, an dem Sie beide zu dieser Bar da gefahren sind. Das …“ Sie schüttelte den Kopf. „Das ist nicht gut für ihn. Er braucht Ruhe.“
    „Und das?“ sagte ich und zeigte auf eine Pfanne voller Fett, in dem Würstchen schwammen, „ist aber gut für ihn?“
    „Das ist sehr gut. In meiner Familie leben alle, bis sie hundert Jahre alt sind. Und keine Falten. Seit Sie da sind, ist er nicht mehr derselbe. Ich wünschte, Sie kriegen das Buch und verschwinden wieder.“
    „Das wünschte ich auch.“
    „Er ist ein sehr guter Mann.“
    „Das würde ich auch gerne denken.“
    „Er hat mich gerettet. Mein Mann war gemein … ein gemeiner und furchtbarer Kerl. Und Mister Riggs hat mich gerettet. Und ich denke, Sie kreuzen hier einfach auf, und machen sich überhaupt keine Gedanken um ihn. Sie wollen nur was.“
    „Und was wollen Sie, Maria?“
    Sie schnitt ihre Zwiebeln, und ich konnte nicht unterscheiden, ob sie deswegen oder aufgrund der Gefühlsaufwallung Tränen in den Augen hatte. „Frieden“, flüsterte sie. „Was hier passiert, ist nicht gut. Das werden Sie auch noch sehen.“
    „Wissen Sie, ich tauge nicht für diese Art von Ratespielen. Ich gehe ein Stück spazieren.“
    Ich verließ das Haus durch den Garten und bahnte mir meinen Weg durch die hohen Gräser zum Strand. Ich war wütend, und wütend bohrten sich meine Absätze in den Sand, kleine Löcher hinterlassend, während ich auf einen Leuchtturm am Ende der Bucht zusteuerte. Ich war noch nicht weit gelaufen, als ich zwischen Scherben und Steinen eine der flachen Muscheln fand, die man Sanddollar nennt. Ich bückte mich, nahm sie musternd in die Hand und stellte fest, dass sie noch nicht einen Kratzer hatte. Zu den Sanddollars gab es einen alten Mythos. Es hieß, in jedem von ihnen gebe es Teile, die wie eine Taube geformt seien. Und bestimmte Kerben stellten die Wunden Christi dar. Ich warf den Sanddollar ins Meer und hockte mich, Tränen in den Augen, in die Dünen.
    Mythen um Sanddollars. Mythen um Pulitzer-Preisträger. Mythen um Michael. Mythen um mich selbst. Ich bohrte meine Finger in den Sand, redlich bemüht, nicht zu weinen. Mythen haben keinen Platz in meinem Leben. Ich brauche Manuskripte. Stapel von Papier, die ich zu einem Buch zusammenfügen kann, mit dem sich Geld verdienen lässt. Ich lasse die Autoren von ihren Mythen erzählen und sorge dafür, dass sie Wirklichkeit werden. Ich legte mich zurück ins Gras. Liebe war ein Mythos. Sex war ein Mythos. Familie war ebenfalls ein Mythos. Mein Vater war für mich wie König Artus. Und nun war er in den Nebeln von Avalon verschwunden. Ein Mythos. Und wenn er diese Welt erst endgültig verlassen hätte, würde ich Geschichten über ihn erzählen. Und vielleicht würde niemand mir glauben. Vielleicht würde die Erinnerung an ihn nach einer Weile sogar so weit verblassen, dass ich selbst nicht mehr an diesen Mythos glauben würde. Mir fiel ein, wie ich meinen Vater eines Tages weinend zu Hause antraf.
    Es war kurz nachdem meine Mutter uns verlassen hatte. Mitten in der Nacht hörte ich ein Geräusch und erkannte, dass er es war. Er weinte. Er lag auf der Seite meiner Mutter im Bett und flüsterte „Ich habe solche Angst“ in die Dunkelheit. Ich traute mich nicht, ihn zu stören, aber es tat so weh zu sehen, wie sehr er litt. Wenn es ihn so schmerzte, dass meine Mutter uns verlassen hatte, vielleicht würde er dann auch gehen und mich mit der schrecklichen Haushälterin und ihrem entsetzlichen Essen allein lassen. Auf Zehenspitzen schlich ich auf ihn zu und begann, ihm das Gesicht zu streicheln, besser, ihm sanft über die Wange zu fahren, so wie er es immer bei mir tat, wenn ich Fieber hatte.
    „Bitte weine nicht, Daddy“, flüsterte ich. Darauf hörte er

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