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e-Motion

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Titel: e-Motion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erica Orloff
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tiefen, dunklen Abgrund, aus dem er nie wieder herauskommen würde.
    „Dad …“ Ich streichelte lächelnd seine Wange. Er hustete – es war ein trockener, fest sitzender Husten. Man hatte mir gesagt, dass er sich erkältet hatte. Es war wohl ganz plötzlich gekommen.
    „Verdammt kalt. Ich brauche ein Taschentuch“, murmelte er, obwohl er schon eine Packung auf seinem Schoß hatte. „Verflucht kalt. Schweinekalt.“ Etwas zog ihn fort von mir, und ich kämpfte dagegen an, so gut ich konnte.
    „Es tut mir Leid, dass ich nicht hier war, Dad. Aber ich musste Roland Riggs besuchen. Erinnerst du dich? Um ihm bei seinem Buch zu helfen.“
    „Bist du denn eine Schriftstellerin?“
    „Nein, Lektorin. Aber das weißt du, Dad.“
    Sein Blick war abwesend, dann aber, für einen kurzen Moment, fixierte er mich.
    „Ich war immer sehr stolz auf dich, Cassie. Ich liebe dich. Ich liebe dich wirklich sehr.“ Schon wieder musste er husten. „So was von schweinekalt hier. Verflucht kalt.“
    Er war eingenickt. Ich wickelte die Decke um seine Beine und küsste ihn auf die Stirn. Ich wusste, dass der Tag, der Augenblick, der Punkt kommen würde, an dem er mich nie mehr erkennen würde. Der Abgrund hätte ihn endgültig geschluckt, und ich würde oben am Rand stehen, mutterseelenallein.
    Doch diese Zeit kam nie. Zwei Tage später hat man ihn mit einer Lungenentzündung ins Boca Community Krankenhaus gebracht. Wieder zwei Tage danach ist er gestorben.
    Ich war dabei.
    Ich wünschte, ich könnte sagen, wir hätten noch eine Minute für uns gehabt. Ein kurzer Moment des Erkennens auf dem Sterbebett. Doch ich tröstete mich mit der Gewissheit, dass mir das, was wir vorher hatten, niemand mehr nehmen konnte. Eine Innigkeit, seitdem ich denken kann. Er driftete ab in den Schlaf, und als er seinen letzten Atemzug tat, hielt ich seine Hand. Ein letzter, tiefer, aufbegehrender Atemzug. Dann ein leises Stöhnen. Dann das Piepsen und Summen der medizinischen Apparate. Dann nichts mehr. Ich unterschrieb, dass er eines natürlichen Todes gestorben war. Er war fort.
    Lou war die zwei Tage, die mein Vater im Krankenhaus um Luft rang, ebenfalls da. Kein einziges Mal erwähnten wir Rolands Namen. Wir redeten nicht über den Verlag. Wir redeten über meinen Vater und wie sehr er mich geliebt hat. Wir redeten darüber, dass mein Vater alles an mir akzeptiert hat: meinen Mann, meinen letzten Freund, meine Launen, meine rebellische Art.
    „Er hat sich selbst in dir gesehen, Cass“, sagte Lou. „Du hast Talent, bist erfolgreich, aber selbst wenn aus dir eine schüchterne, zurückgezogene Hausfrau mit einem bierbäuchigen Kanalarbeiter als Mann und einem Stall voller schreiender Blagen geworden wäre, hätte er dich geliebt.“
    Die Vorstellung von mir als einer Hausfrau war so aberwitzig, dass ich darüber lachen musste, und doch wusste ich, dass Lou Recht hatte. Ich wurde schlicht und ergreifend geliebt, weil ich geboren wurde.
    Wir entschieden uns für eine Urnenbestattung. Ich hielt nichts von aufgebahrten Särgen und Totenwachen. Ich wollte mir keinen wächsernen Körper ansehen und denken, dass es mein Vater war, der in dem Kasten lag. Also ließen wir ihn verbrennen. Außer Lou und mir war niemand anwesend. Wir sprachen keine Gebete. Wir sagten nur ganz gewöhnliche Worte. „Ich werde dich vermissen. Ich liebe dich“, flüsterte ich, bevor sie den Leichnam seiner Bestimmung zuführten. Lou sagte bloß „Grüß Helen von mir“. Ich hatte überlegt, die Asche ins Meer zu streuen. Ich fand das romantisch. Aber mein Vater hatte den Strand gehasst. Den Sand und die schwüle Hitze und den Schweiß. Und nachdem ich ihm ein Jahr dabei zugeguckt hatte, wie er sich von mir entfernte, wollte ich ihn in meiner Nähe haben. Also habe ich den Leuten gesagt, dass ich ihn nach Hause bringen wollte … zu José, in mein Apartment.
    Nach der Bestattung fuhr ich zu mir. Meine Wohnung kam mir plötzlich so winzig vor, dass ich fast einen klaustrophobischen Anfall bekommen hätte. Zumal sie der einzige Ort war, den ich noch hatte. Ich würde zur Arbeit gehen; ich würde nach Hause kommen; ich würde Kaffee trinken; ich würde Tequila trinken; ich würde zu spät aufstehen; aber ich würde nicht mehr nach Stratford Oaks fahren. Ich hatte niemanden mehr, den ich besuchen konnte, den ich lieben und um den ich mich kümmern konnte. Vielleicht hatte Maria Recht. Sie brauchte ihr Kind, Roland Riggs. Mein Kind war gestorben. Nun hatte ich niemanden mehr. Außer

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