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Pearton.“
„Manche Geheimnisse löst man besser nicht, Roland. Ich habe ihm geschrieben. Er hat nicht geantwortet. Ende der Durchsage.“
Er nahm einen großen Schluck von seinem Frühstücksbier.
„Das ist in der Tat das Gute daran, wenn man Schriftsteller ist, oder Lektor. Wenn einem das Ende nicht gefällt, kann man es immer umschreiben.“
Ich trank ebenfalls einen Schluck von meinem Bier.
„Ja. Oder man kann das Manuskript verbrennen.“
Wir beendeten das Frühstück, und danach ging ich nach oben, um zu packen. Schon bald würde ich wieder im Land von Starbucks, Shopping Malls, rosafarbenen Palästen und Bagels sein. Ich vermisste meinen Vater. Ich vermisste Lou, obwohl ich ihm das nie sagen würde. Voll beladen, schleppte ich mein Gepäck nach unten.
Mit einem Kaninchen auf dem Arm kam Maria auf mich zu. „Das ist José. Ich möchte, dass Sie ihn mitnehmen.“
„Das kann ich nicht“, stammelte ich. „Das geht ganz und …“
„Es bedeutet mir viel. Und Mr. R…, Roland. Bitte nehmen Sie ihn. Damit Sie sich an uns erinnern.“
„Glauben Sie mir, ich habe auch so keine Schwierigkeiten, die letzten zwei Wochen nie zu vergessen.“
„Sie sollten nicht allein leben. Sie sollten jemanden haben.“
Mit ihren schwarzen Augen sah sie mich so ernst an, dass ich begann, mich unbehaglich zu fühlen.
„Vielleicht sollte ich besser einen Bonsai mitnehmen.“
„Nein. Das Kaninchen.“
Ich nickte. Offensichtlich kam ich ohne den Hasen hier nicht weg.
„Ich soll also nicht allein leben. Okay. Soll José mich also beschützen oder mir Gesellschaft leisten? Oder ist es ein angriffslustiger Hase?“
Maria warf mir einen entschiedenen Blick zu. „José würde niemals jemandem wehtun.“
„Natürlich.“
Maria setzte José in eine Reisetasche. Dann gab sie mir noch eine große Dose Futter mit, Mohrrüben und anderes Gemüse aus dem Garten.
„Nicht zu viel Salat. Davon bekommt er Durchfall.“
„Das Letzte, was ich mir wünsche, ist ein Kaninchen mit einer Magen-Darm-Verstimmung.“
Ich nahm den Hasen und die Futterdose, während Roland meinen Laptop und meine Taschen trug.
„Ich bringe Sie zum Auto.“
Wir durchquerten den Garten, vorbei an allen von Maria gehegten und gepflegten Katzen und Orchideen. Ich hatte das Gefühl, dass die Gespenster sich verzogen hatten.
„Ich weiß wirklich nicht, wie ich Ihnen dafür danken soll, dass Sie mir das Tanzen beigebracht haben.“
Ich zuckte mit den Schultern. „Ich denke, José ist Dank genug, Roland.“
„Sie werden sich über seine Gesellschaft freuen.“
„Nein … das werde ich nicht.“
„Nun, danke trotzdem. Für alles. Wenn ich je wieder etwas schreiben sollte, sind Sie die Erste, die ich anrufe.“
Innerlich erschauderte ich. Roland setzte José auf den Beifahrersitz, und ich verstaute meine Taschen im Kofferraum.
„Wir bleiben in Kontakt“, sagte er und umarmte mich erneut innig. Im hellen Licht des Tages sah ich ihm ins Gesicht. Die qualvollen Jahre schienen wie ausgelöscht. Er wirkte am Tag meines Abschieds um Jahrzehnte jünger als noch zwei Wochen zuvor. So sehr ich ihn auch dafür hassen wollte, dass er mir kein vernünftiges Manuskript gegeben hatte, dass er mich in erster Linie wegen etwas ganz anderem hierher zitiert hatte, dass er ein Gedicht und keinen Roman geschrieben hatte – ich konnte es nicht.
„Vergessen Sie nicht, jeden Abend zu tanzen, Roland. Sie haben ein bisschen Glück verdient.“
„Das werde ich. Ich werde tanzen. Und vielleicht sogar schreiben …“
„Sagen Sie das nicht.“ Ich schüttelte den Kopf. „Ich werde es Lou schon irgendwie beibringen.“
Wir drückten uns noch einmal, und dann fuhr ich los. Wieder zurück, in die andere Richtung, als würde die Sonne nun im Osten untergehen. Zurück in meine Welt. Alles war wie immer, aber irgendwie auch nicht.
29. KAPITEL
M eine Welt drehte sich nach wie vor rückwärts. Als ich zu Hause ankam, fuhr ich direkt nach Stratford Oaks und besuchte meinen Vater. Er hatte mich nicht vermisst, weil er vergessen hatte, dass ich weg gewesen war.
„Cassie …“ Er lächelte. Er erkannte mich. Er nahm meine Hand wie ein kleiner Junge die seiner Mutter nehmen würde, wenn sie zusammen über die Straße gehen müssen. Früher zitterte meine Hand wie ein kleiner Vogel in seiner. Jetzt umklammerte er mich, als ob er wüsste, dass er bald aus dem Nest fallen würde, hoch oben aus der Baumkrone, ohne zu wissen, wie man fliegt. Er fiel hinab in einen
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