Eanna - Stürmische See - Éanna ; [2]
Hungersnöten die Ausfuhr heimischer Lebensmittel sofort untersagt und sie der eigenen Bevölkerung zugeführt hatten, nahm man in England nicht als Vorbild. Hier pochte man unbeirrt vom Massensterben auf das Recht des freien Unternehmertums, das seine Waren nun einmal dorthin verkaufte, wo sie den größten Gewinn brachten.
Die völlig unzureichenden Suppen, die der hungernden Bevölkerung schließlich von den öffentlichen Suppenküchen der britischen Krone vorgesetzt und als große Mildtätigkeit sowie als »exzellent« in der britischen Presse gepriesen wurden, hatten pro Mahlzeit einen Wert von gerade einmal drei Farthing, also nur drei Viertel eines Penny. Sie deckten damit bestenfalls ein Viertel der Nahrung, die zum Überleben nötig war.
Um dieser Perversion und Skrupellosigkeit der Regierung in London noch sozusagen die britische Krone aufzusetzen, stellten all diese viel zu spät eintreffenden und völlig unzulänglichen Hilfsmaßnahmen – im Gegensatz zu den Lieferungen aus Amerika, Kanada und dem europäischen Kontinent – kein »Geschenk« dar, sondern alle anfallenden Kosten wurden als Darlehen betrachtet, das vom überlebenden irischen Volk mit Zins und Zinseszins später zurückzuzahlen war.
In den 130 hoffnungslos überfüllten Arbeitshäusern Irlands für die Ärmsten der Armen wurden 1847 zum Höhepunkt der Hungersnot durchschnittlich wöchentlich 26 Tote pro 1000 Insassen verzeichnet. Ein Arbeitshaus wie das Clifton Workhouse in meinem Roman registrierte in dieser Zeit jede Woche 50 Tote und mehr. In manchen Arbeitshäusern lag die Sterbequote sogar bei 25% innerhalb von zwei Monaten!
In seinen Briefen und Reportagen an die Zeitungsredaktion des Manchester Examiner, die später als Buch mit dem Titel »Irlands großer Hunger« erschienen, schrieb der Engländer Alexander Somerville, der Irland 1847 bereiste: »Langwierigen Beschreibungen der Leiden des Volkes brauche ich hier keinen Raum zu geben. Denn alles, was über die Landbevölkerung des Westens zu sagen ist, lässt sich schon den Worten Elendshütten, Hunger, Lumpen, Rheuma, Entkräftung, Krankheit und Tod entnehmen. Alles, was über den Landadel . . . zu sagen ist, kann man den Worten Schlösser, Stolz, Untätigkeit, Leichtsinn, Armut und Verschuldung entnehmen. Es gibt kaum einen Zustand zwischen den beiden Extremen oder eine Mittelschicht.« Und an anderer Stelle schreibt Somerville in die Heimat: »An dem Ort, an dem ich dies hier niederschreibe, kriechen die Menschen buchstäblich auf ihre Gräber zu, und vor Leibschmerzen quellen ihnen die Augen aus den Höhlen …« Und zur Untätigkeit der herrschenden Klasse in Irland und England stellt er fest: »Das solcherart ungestraft bleibende Handeln der irischen Gutsverwalter, der politisch aktiven Protestanten, geht so weit, dass sie keinerlei Gefühl der Furcht oder Scham mehr kennen. Wovor sollten sie sich auch fürchten? Sie hatten alle Macht und auch das Gesetz auf ihrer Seite, ebenso alle Vertreter von Macht und Gesetz, angefangen beim Lord Primate von ganz Irland und dem irischen Lord Lieutenant bis hinunter zum Henker.«
Bei der Beschreibung dieses fast unvorstellbaren und noch schwerer in die Handlung eines Jugendromans zu fassenden Elends habe ich mir nach gewissenhafter Abwägung eine größtmögliche Zurückhaltung auferlegt und mich auf das Notwendigste in der Beschreibung beschränkt. Dieses dürfte jedoch immer noch genügen, um ein realistisches Bild der Hungersnot beim Leser zu erzeugen. Das ganze Ausmaß des alltäglichen Grauens während des Massensterbens in aller drastischen Härte zu schildern, ist jedoch in diesem Rahmen kaum darstellbar.
Wer sich detailliert über die grauenvollen Jahre der irischen Hungersnot informieren möchte, dem sei die Lektüre der folgenden Bücher anzuraten, die zugleich auch den Großteil meiner Quellen zu diesem Roman bilden: »The Great Hunger« von Cecil Woodham-Smith, »Black Potatoes – The Story of the Great Irish Famine, 1845–1850«, von Susan Campbell Bartoletti; »The Great Irish Potato Famine«, von James S. Donnelly, JR; »The Irish Famine – An Illustrated History«, von Helen Litton; »Paddy’s Lament«, von Thomas Gallagher; »Irlands großer Hunger – Briefe und Reportagen aus Irland während der Hungersnot 1847«, von Alexander Somerville.
Leonie Britt Harper,
im Dezember 2006
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