Earth Girl. Die Prüfung
torkelte an den Rand des Schlittens und wäre beinahe hinuntergefallen.
Fian und Playdon schnappten mich, einer links, einer rechts, halfen mir vom Schlitten herunter und führten mich vor den anderen her in den Kuppelbau.
«Das war der absolute Wahnsinn!», rief Dalmora. «Jarra, du warst einfach …» Sie brach ab. «Ich hab gar keine Worte, um das zu beschreiben.»
Wow, dachte ich. Ich habe Miss Alpha sprachlos gemacht. Ich zog die Kapuze meines Anzugs ab und schwankte ein wenig hin und her.
Fian fing mich zum zweiten Mal innerhalb von zwei Minuten auf. Als mein Tagger Support hielt er es vermutlich immer noch für seinen Job. «Alles in Ordnung, Jarra?»
Gute Frage. Ich stand mit den Füßen auf dem festen Flexiplas-Boden unserer Unterkunft, aber ich hatte trotzdem das Gefühl, immer noch in der Luft zu schweben.
Dalmora sauste davon und kam mit einem Glas Fizzup zurück. Sie reichte es mir, und ich kippte es in einem Zug hinunter.
«Jarra hat sehr hart gearbeitet, um mehrere Menschenleben zu retten», schaltete sich Playdon ein. «Auch Militärangehörige sind nur Menschen wie Sie und ich. Fian, begleiten Sie Jarra zum Badezimmer und dann zu ihrem Quartier.»
Ein Badezimmer. Ich schaffte es, mich aus meinem Schutzanzug zu schälen und mich, welch Freude, unter die Dusche zu stellen. Danach ein Bett. Ich machte mir gar nicht erst die Mühe, mein Skintight auszuziehen, und ließ mich hineinfallen. Nach ein paar Stunden wachte ich auf, zog mich um und suchte tastend den Weg in den Speisesaal. Es schien kein Unterricht stattzufinden. Alle saßen nur um die Tische herum und unterhielten sich. Als ich mir an den Ausgabegeräten etwas holte und zu essen anfing, verstummten sie alle und beobachteten mich.
«Wir haben Neuigkeiten aus dem Krankenhaus», meinte Playdon.
Ich hielt inne und sah auf.
«Stephan, der Tagger, dessen Anzug frühzeitig versagt hat, hat beide Beine verloren, aber keine Hirnverletzungen davongetragen. Nach einem Monat im Regenerationstank wird er neue Beine haben und wieder vollkommen gesund sein. Alle anderen sind nur leicht verletzt. Ich werde sie nachher besuchen.» Er machte eine Pause. «Die Leute vom Team Cassandra 2 sind sehr gute Freunde von mir.»
Ich hätte Playdon vermutlich eine Nachricht von mir auftragen sollen, um ihnen rasche Genesung zu wünschen, doch ich war zu erschöpft. Ich murmelte lediglich, wie froh ich sei, dass Stephan es geschafft hatte. Danach beendete ich meine Mahlzeit und taumelte zurück ins Bett. Ich hatte geholfen, Menschenleben zu retten. Das Leben von Norms, nicht von Behinderten. Während dieser ganzen Aufregung hatte ich darüber nicht einmal nachgedacht. Es waren einfach nur Menschen.
Und da war noch etwas. Playdon hatte mich als Militärangehörige bezeichnet. Er hatte die Seiten gewechselt, von einer Bedrohung zum Verbündeten. Damit fühlte ich mich nicht nur sicherer, sondern … ich fühlte mich gut.
Ich schlief wieder ein.
[zur Inhaltsübersicht]
9
N achdem ich den Großteil des Nachmittags und des Abends verschlafen hatte, war meine Nacht ziemlich unruhig und erfüllt von Albträumen. Ich war diejenige, die unter dem Schutt in einem versagenden Schutzanzug gefangen war und nun hilflos dalag, während meine Beine langsam zu Brei zerquetscht wurden. Nicht schön. Gar nicht schön.
Den ganzen folgenden Tag hatten wir normalen Unterricht. Das Ausgrabungsgelände besuchten wir nicht, und wir setzten noch nicht mal einen Fuß vors Gebäude. Playdon muss wohl geglaubt haben, dass wir erst eine kleine Erholung brauchten, bis wir uns wieder der Arbeit draußen stellen konnten. Ich weiß nicht, wie es den anderen ging, aber in meinem Fall hatte er definitiv recht. Meine Muskeln waren steif und schmerzten, in meinem Kopf herrschte nichts als Chaos.
Also verbrachte Playdon diesen Tag damit, uns durch die Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts und die Entstehung der Riesenstädte zu führen. Das zwanzigste Jahrhundert wird gerne unter der Überschrift Krieg, Krieg und Langeweile zusammengefasst.
Im Geschichtsunterricht in der Schule ist das Thema natürlich ziemlich öde. Die lassen zum Beispiel den ganzen Wettlauf ins All weg, da die Portale ihn überflüssig gemacht haben. Auch auf den Kalten Krieg gehen sie nicht ein, weil dabei zu oft das Atomwort vorkommt. Dann kichern die Kids die ganze Zeit über, erzählen zu Hause ihren Eltern, was der Lehrer gesagt hat, und die Schule wird mit Beschwerden überhäuft. Zumindest läuft das mit
Weitere Kostenlose Bücher